Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen27. März 2024
Demokratie wird überschätztZu kämpfen gilt es für Liberalismus und nationale Souveränität
Angst geht um in Deutschland. Es heißt, die Demokratie sei in Gefahr. Im Herbst sind Wahlen in drei Bundesländern: Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Überall gewinnen sogenannte extreme Parteien viel Zustimmung. Auf der Plattform »wahlrecht.de«, Stand 18. März, kommt die AfD in Thüringen auf 31 Prozent, das »Bündnis Sahra Wagenknecht« (BSW) kriegt 17 Prozent, die Linke 15 Prozent. Die SPD schrumpft auf 6 Prozent; Grüne und FDP rangieren an oder unter der Schwelle von 5 Prozent.
Solche Parteipräferenzen sind tatsächlich neu für Deutschland. Man kann auch sagen: Sie sind erschreckend. Mit Ausnahme der Union (20 Prozent in Thüringen) spielen sogenannte bürgerliche Parteien keine Rolle. Stattdessen streiten sich extreme (manche sagen: extremistische) Parteien aus dem rechten und linken Spektrum um die Macht: 63 Prozent der Wählerinnen und Wähler – Stand heute – würden ihre Stimme einer dieser Parteien geben.Soll man daraus folgern, die Demokratie sei in Gefahr? Ich verstehe das Argument nicht. Und zwar umso weniger, je lauter dieser »Wir retten die Demokratie«-Diskurs tönt. Was sich in den drei Bundesländern zeigt, das ist doch gerade Demokratie, ob es einem passt oder nicht. Jedenfalls ist mir nicht zu Gehör gekommen, dass die Wahlbürger dort in irgendeiner Form mit Zwang oder unsittlichen Wahlgeschenken verführt werden oder es gar zu Versuchen des Wahlbetrugs kommen könnte. So gesehen sind Sahra Wagenknecht und Björn Höcke Demokraten. Man kann sie auch Populisten nennen. Aber was ist damit gewonnen? Lediglich eine Tautologie, die besagt, dass in einer Demokratie die Herrschenden sich die Zustimmung zum Regieren bei den Beherrschten (also beim Populus, abschätzig auch Plebs genannt) abholen müssen. Und dass die Herrschenden ihre Macht zum Glück nur auf Zeit innehaben, sie also spätestens nach vier Jahren auch wieder abgewählt werden können.
Die Demokratie wäre erst dann in Gefahr, wenn – sagen wir Sahra Wagenknecht oder Björn Höcke – ihre demokratisch erworbene Macht dazu missbrauchen würden, die Demokratie selbst abzuschaffen. Und sich als Diktatoren installierten. Das kann, wer mag, ihnen unterstellen. Beweise dafür gibt es nicht. In anderen Ländern (Niederlande, Polen, Italien) haben die Rechtspopulisten das gerade nicht getan. Mit Verweis auf das Jahr 1933 und die Nationalsozialisten zu sagen, hierzulande sei das anders, halte ich für ein völkisches Argument, das der plumpen Annahme einer Wiederholung von Geschichte aufsitzt. Und dabei noch nicht einmal an den 1945 entwickelten deutschen Sonderweg der »wehrhaften Demokratie« glaubt, welche die demokratische Teilhabe der Bürger im Vergleich zu anderen Ländern stark begrenzt: Volksabstimmungen fürchten wir hierzulande wie der Teufel das Weihwasser; Verfassungsschutz und Verfassungsgericht haben eine viel größere präventive Macht als anderswo. Insofern steht die gefestigte Populismusbegrenzungsmacht unseres Staates in einem merkwürdigen Kontrast zum weit verbreiteten Gefühl einer bedrohten Demokratie. »Mehr Gelassenheit wagen«, so müsste ein daraus sich ableitender Imperativ lauten.
Die »schweigende Mehrheit« ist eine linksgrüne Minderheit
Der Demokratiebegriff wird aufgeladen und übertrieben ideologisch besetzt, wenn eine selbsternannte »schweigende Mehrheit« das Monopol aufs Demokratischsein für sich beansprucht – unterstützt von öffentlichem Rundfunk, Ampelpropaganda und teuer alimentierten Demokratieforschungsprogrammen an Stiftungen und Netzwerken zu Rettung des »sozialen Zusammenhalts«. Das mag als kommunikativer Trick der Gemeinwohlrhetorik durchgehen, redlich ist es nicht.
Eine gerade von der Universität Konstanz veröffentlichte Umfrage wollte wissen, wer die Demonstranten sind, die seit Jahresanfang als »schweigende Mehrheit und Mitte« die Demokratie verteidigen wollen. Das Ergebnis: 61 Prozent von ihnen hatten bei der vergangenen Bundestagswahl die Grünen gewählt, 65 Prozent ordnen sich »links der Mitte« ein, weitere fünf Prozent »linksaußen«. Auf den Marktplätzen des Landes demonstriert mithin nicht die »schweigende Mitte«, sondern eine linksgrüne Minderheit – so das Ergebnis der Forscher in Konstanz. Das ist völlig in Ordnung, sollte aber nicht kaschiert werden. Im Übrigen möchte auch ich nicht in einem (Bundes)land leben, in dem Sarah Wagenknecht und/oder Björn Höcke regieren. Denen aber das Demokratischsein abzusprechen oder sie als »formal demokratisch« zu denunzieren, könnte sich am Ende rächen.
Was aber ist dann gefährdet, wenn es nicht die Demokratie ist? Es sind die »liberalen Institutionen« und die »nationale Souveränität«. Beides hängt zusammen und bedeutet: Der Streit muss »inhaltlich« werden und darf sich nicht damit begnügen, von Demokratierettung zu faseln. Liberale Institutionen verlangen unter anderem ein Bekenntnis zu Marktwirtschaft, zu einer globaler Freihandelsordnung, zu Rechtsstaatlichkeit, zu Minderheitsschutz und sozialer Teilhabe (auch für Migranten, wenn sie bereit sind, sich zu integrieren). Man sage nicht, das laufe auf das Gleiche hinaus wie das Bekenntnis zur Demokratie. Im Gegenteil: Liberale Institutionen begrenzen die Reichweite der Demokratie. Das Verfassungsgericht schützt die Schuldenbremse gegen Parlament und Regierung. Der Minderheitenschutz weist demokratische Mehrheitsmacht in die Schranken, verhindert, dass die Mehrheitsdemokratie zu einem illiberaler Zwangsapparat wirdLiberalismus vs. Populismus
Nationale Souveränität bedeutet, dass weder die Fiskalpolitik noch die Migrations- oder Sozialpolitik an transnationale, also europäische Institutionen delegiert werden dürfen. Weil diese dafür nicht legitimiert sind. Die Gefährdung der nationalen Souveränität sind eine zentrale Ursache für den Erfolg des rechten und linken Populismus. Die AfD entstand nicht zufällig in den Jahren der Eurokrise, als es darum ging, dass Deutschland womöglich haften muss für den fiskalischen Schlendrian südlicher Euroländer. BSW von Sahra Wagenknecht entstand nicht zufällig in einem Moment, als es darum ging, ob die Leistungen des deutschen Sozialstaats gleichzeitig und in vollem Umfang auch Migranten offenstehen sollen.
Liberalität und Souveränität dürfen gerade nicht gegeneinander ausgespielt werden. Philip Manow, ein inspirierender Sozialwissenschaftler, hat dazu unter dem Titel »Unter Beobachtung« ein neues Buch geschrieben, das demnächst bei Suhrkamp erscheint. Darin geht es (auch) um eine Verhältnisbestimmung zwischen Liberalismus und Populismus. Zu stärken gilt es einen liberalen Universalismus: Das ist eine Staats- und Wirtschaftsverfassung, die das demokratische Existenzrecht rechter und linker Populisten verteidigt und zugleich darauf insistiert, dass individuelle Freiheiten nicht von (demokratischen) Mehrheitsentscheidungen platt gemacht werden dürfen.
Rainer Hank