Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen09. August 2025
Demokratie-IndustrieDer soziale Zusammenhalt verschlingt viel Geld
Der Deutsche Dom am Berliner Gendarmenmarkt heißt nur Dom, ist aber keiner. Das Anfang des 18. Jahrhunderts errichtete Gebäude fungiert als Museum. Seit 2002 beherbergt es die Ausstellung des Deutschen Bundestages »Wege, Irrwege, Umwege. Die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland«. Auf fünf Etagen und knapp 2000 Quadratmetern sollen alle wichtigen Etappen zur Entstehung, Entwicklung und Festigung des demokratischen Systems in der Bundesrepublik beleuchtet werden, so der Anspruch.
Auf die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie können wir Deutschen stolz sein. Schön, dass sie mitten in Berlin so anschaulich erzählt wird. Freilich nicht nur da. Demokratieprojekte vermehren sich hierzulande inflationär. In Frankfurt zum Beispiel, wo ich normalerweise lebe, wird gerade so etwas Ähnliches wie in Berlin ausgedacht: In unmittelbarer Nähe der Paulskirche (Achtung: Wiege der Demokratie!) soll ein »Haus der Demokratie« entstehen, das zu einem »lebendigen Ort des Miteinanders« werden soll. Das geht alles seinen sozialistischen, pardon: demokratischen Gang. Erst gibt es eine hochkarätige und vielköpfige Bund-, Länder-, Kommunen-Expertinnenkommission, die einen Enquetebericht verfasst, selbstverständlich mit interdisziplinärer wissenschaftlicher Begleitung. Es folgt der Ideenwettbewerb, abermals mit interdisziplinärem Planungsteam (Budget: 855.000 Euro). Dann kommt ein Wettbewerb und – wenn alles gut geht – der erste Spatenstich im Jahr 2028. Wir werden darauf zurückkommen.
Mein Versuch, einen Überblick über die Anzahl der Demokratieförderprojekte, das Gesamtbudget und die Evaluierungsergebnisse zu gewinnen, führt ins Dickicht der Unübersichtlichkeit. Zum Glück gibt es ChatGPT, mein KI-Freund und Helfer. Doch auch er hisst bald die weiße Fahne. Es existiere »eine Vielzahl von Initiativen, die von öffentlichen Stellen, privaten Organisationen und wissenschaftlichen Institutionen getragen werden«, schreibt die Maschine. Das Spektrum, so weiter, reiche von »bundesweiten Programmen über Landesinitiativen bis hin zu lokalen Projekten und zivilgesellschaftlichem Engagement«. Die Krönung ist das »Gesetz zur Stärkung von Maßnahmen zur Demokratieförderung, Vielgestaltigkeit, Extremismusprävention und politischer Bildung«. Das hat es immerhin bis zu einer ersten Lesung im Deutschen Bundestag geschafft. Dann folgte das etwas abrupte Ende der Ampel.Hier Beispiele aus der Demokratieföderlandschaft in Bayern: »Für alle mit Herz und Verstand« möchte Menschen dazu bewegen, wählen zu gehen. Die freikirchliche Initiative »Kreuz setzen« (man achte auf die Doppeldeutigkeit) dekretiert, Christen hätten eine besondere Verantwortung, für eine starke Demokratie einzustehen. Und zur Wahl zu gehen. Ob es im Sinne der Initiatoren war, dass die bayerischen Wähler bei der vergangenen Bundestagswahl die AfD zu zweitstärkste Kraft krönten, bezweifle ich. Wir hätten noch (immer noch Bayern) das »Bündnis für Toleranz«, das »Landesdemokratiezentrum Bayern«, den »e.V. Mehr Demokratie« und den Bayerischen Forschungsverbund »Zukunft der Demokratie« im Angebot.
»Demokratie leben« ist teuer
Viele Initiativen kosten viel Geld. Der Versuch, ein Gesamtbudget der Demokratieprojekte zu beziffern, scheitert ebenfalls. Klar ist nur eines: Es wird Jahr für Jahr mehr Geld ausgegeben. Das Bundesfamilienministerium (inzwischen mit dem Bildungsministerium fusioniert) verteilte unter dem Titel »Demokratie leben« im vergangenen Jahr 182 Millionen Euro. Zehn Jahre zuvor waren es lediglich 40 Millionen, 2020 dann schon 115 Millionen. Im Abgreifen dieses Geldes besonders erfolgreich ist die Amadeu Antonio Stiftung (»Demokratie braucht Rückenwind«): 2018 stammten 2,7 Millionen der insgesamt ausgegebenen 4,3 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln. Inzwischen hat sich das Budget der Stiftung auf 12,3 Millionen Euro verdreifacht (davon stolze 9,1 Millionen aus dem staatlichen Haushalt). Auch andere große Stiftungen, allen voran Bosch und Hertie, lassen sich nicht lumpen: Das Projekt »Mitmachen. Demokratie stärken« der Hertie-Leute verzeichnet im Jahr 2023 verausgabte Projektmittel von 858.000 Euro; 2019 nannte der Geschäftsbericht zum selben Posten lediglich 117.000 Euro. Zumindest also ein Ausgabenerfolg.
Aber ist es auch ein Erfolg für die Demokratie? Das bleibt im Dunkeln. Erfolgskontrolle gibt es wenig. Noch nicht einmal Klärung darüber, was ein Erfolg wäre. Das Millionenprojekt des Bundes nennt es einen Erfolg, dass »Demokratie leben« verstetigt wird. Ewigkeitskosten für den Steuerzahler. Dass der Erfolg nicht messbar ist, liegt auch daran, dass man sich meist nicht damit aufhält zu definieren, was unter Demokratie verstanden werden soll. Stattdessen begnügt man sich mit der in fast allen Projekten identischen Prosa des »Miteinanders«, des »sozialen Zusammenhalts« oder der »demokratischen Zivilgesellschaft«. Der Philosoph Theodor W. Adorno hätte so etwas den »Jargon der Eigentlichkeit« genannt. Der Jargon suggeriert Bedeutung, ohne wirklich inhaltlich klar zu sein. Man könnte auch von einer MeToo-Bewegung sprechen: Alle machen irgendwie das Gleiche.
Design for Schwachsinn
Eigentlich müsste man im Sinne der Demokratie-Aktivisten annehmen, der Erfolg müsse sich daran messen, dass die Stimmen für die (mutmaßlich) antidemokratische AfD schrumpfen. Doch das ist bekanntlich nicht der Fall. Bei der letzten Bundestagswahl stimmten knapp 21 Prozent aller Wahlberechtigten für die blaue Partei. 2013 waren es 4,7 Prozent. Wachsende Wählerstimmen für die AfD und wachsende Geldmittel für die Demokratiefreunde korrelieren. Letztere finden das kein Scheitern. Im Gegenteil: Sie leiten aus der wachsenden Zustimmung für die AfD den Anspruch auf noch mehr Geld zum Kampf für das Miteinander ab. Das nenne ich das Erfolgsparadox des Kampagnenmisserfolgs. Würden die Demokratiefeinde weniger werden, wäre das Geschäftsmodell der Demokratie-Aktivisten gefährdet.
Solange immer noch mehr Geld für den »sozialen Zusammenhalt« ausgelobt wird, wird es auch abgerufen, selbst dann, wenn mit Biegen und Brechen ein Zusammenhang zum sozialen Zusammenhalt konstruiert werden muss. Frankfurt zum Beispiel wird 2026 »World Design Capital«. Und wie heißt das Motto? Richtig: »Design for Democracy«. 21 Millionen Euro sind geplant; der Rest ist Schwafeln und Raunen. Da kennen die Kreativen nichts, planen einen »Kiosk of Solidarity«, gestaltet von der »Lustaufbesserleben GmbH«.
Von den Designern ließe sich lernen: Warum sollte DHL, vormals Deutsche Post, ihre vielen Packstationen nicht als »Stätten des demokratischen Miteinander« vermarkten? Die »sozialen Netzwerke« (X, Facebook & Co.) täten gut daran, sich zeitgeschmacksgerecht als »sozial-demokratische Netzwerke« zu präsentieren. Und das Fitness-Studio könnte nicht mit »Blut, Schweiß und Tränen«, sondern »Gemeinschaft, Kraft und Freude« werben. Weitere Vorschläge nimmt das Bundesfamilienministerium entgegen. Geld ist da.Rainer Hank