Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen04. April 2023
Das Versagen des OligopolsWarum merken die Wirtschaftsprüfer nichts bei Credit Suisse & Co.?
Der Bericht der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC (PricewaterhouseCoopers) ist auf den 14. März 2023 datiert: Er bestätigt, dass die Zahlen der Schweizer Credit Suisse (CS) im Einklang sind mit den Anforderungen der Amerikanischen und Schweizer Rechnungslegung. Zwei Tage später, am 16. März, erhält die CSB eine »Liquiditätsnothilfe« von 50 Milliarden Franken von der Schweizer Nationalbank. Weitere drei Tage später, am Sonntag, dem 19. März, wird die Bank in einer staatlichen Hauruckaktion zum Schleuderpreis von drei Milliarden Franken an die Konkurrentin UBS verkauft.
Wie kann es sein, dass eine Bank nur wenige Tage nach einem positiven Prüferurteil wirtschaftlich am Ende ist? Wozu haben wir Prüfer, wenn sie sogar eine existenzbedrohende Krise verschlafen, fragt sich der Laie. »Frisch geprüft in den Abgrund« titelte die FAZ so frech wie nachvollziehbar.
Die entschuldigenden Erklärungen folgten auf dem Fuße. Das Testat eines Wirtschaftsprüfers sei schließlich keine Existenzgarantie. Zumindest auf dem Papier habe die CS eine gesunde Kapitalquote und ganz ordentliche Liquiditätszahlen vorzuweisen gehabt, hieß es. Und einen »Bank-Run«, bei dem viele geängstigte Sparer gleichzeitig ihr Geld abziehen, könne auch der beste Prüfer nicht antizipieren. Immerhin habe PwC ihr Testat für die CS verschoben, nachdem man bei den internen Kontrollen der Bank auf »wesentliche Mängel« (»material weaknesses«) gestoßen sei. Aus Sicht der Prüfer mag es bitter erscheinen, dass das aufgeschobene PwC-Testat schließlich pünktlich zum Untergang der Bank kam.
Die Frage »Wozu Prüfer?« bleibt und lässt sich nicht mit »Shit happens« abtun. Zumal einem rasch noch deutlich schlimmere Fälle in den Sinn kommen. Haben die Wirtschaftsprüfer nicht jahrelang die Bilanz des Unternehmens Wirecard gutgeheißen, obwohl der Zahlungsdienstleister in großem Ausmaß seine Geschäfte erfunden hat? Hier war es EY (vormals »Ernst & Young«), dem nicht aufgefallen sein will, dass 1,9 Milliarden Dollar auf Bankkonten in Asien reiner Bluff waren. Saldenbestätigung sei das Erste, was ein Prüfer zu tun habe, sagte mir ein altgedienter Banker damals: Bei der Bank nachfragen, ob das Geld wirklich auf dem Konto ist. Inzwischen läuft eine Klagewelle von Wirecard-Opfern, deren Schadenersatz-Forderungen sich auf circa 20 Milliarden Dollar summieren.
Skandal: Arthur Andersen und Enron
Der größte Skandal jüngerer Zeit heißt Arthur Andersen. Der Fall liegt eine Weile zurück, fällt einem als Wirtschaftsjournalist jedoch sofort ein. Der amerikanische Energiegigant Enron hatte seine Bilanz in großem Stil gefälscht. Das Prüfunternehmen Arthur Andersen hat den Schwindel gedeckt, nicht vorhandene Gewinne von 1,2 Milliarden Dollar testiert und anschließend dafür gesorgt, dass Beweise geschreddert wurden. Arthur Andersen bekam hohe Strafen und hat den Fall am Ende nicht überlebt. Nach dem Enron-Skandal kam es im Jahr 2002 in den USA zu einem eigenen Gesetz, dem Sarbanes-Oxley Act, mit welchem das Vertrauen der Anleger in die Richtigkeit und Verlässlichkeit der veröffentlichten Finanzdaten von Unternehmen wiederhergestellt werden sollte. Das Gesetz verlangt, dass die Unternehmen ein internes Kontrollsystem einrichten. Auch in Deutschland gab es nach Wirecard ein neues Gesetz mit dem schönen Namen Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz, das die Prüfer verpflichtet, ihre Mandate schneller wieder abzugeben (Rotation).
Gleichwohl mutet aus ordnungspolitischer Sicht vieles an der Praxis der Prüfung merkürdig an. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften haben einen öffentlichen Auftrag. Ihre gesetzliche Aufgabe ist es, »betriebswirtschaftliche Prüfungen, insbesondere von Jahresabschlüssen durchzuführen und Bestätigungsvermerke über das Ergebnis solcher Prüfungen zu erteilen«. Bezahlen muss dafür das geprüfte Unternehmen. Marktwirtschaftlich müsste eigentlich gelten: Wer bestellt, bezahlt. Wenn also die Öffentlichkeit (im Interesse von Aktionären und Gläubigern) eine Prüfpflicht für Unternehmen verhängt, müsste diese Öffentlichkeit – also der Staat – die Kosten übernehmen. Zahlt der Mandant, entsteht eine verführerische Nähe zwischen Prüfern und Geprüften, zumal die Wirtschaftsprüfer vielfältig Beratungsleistungen an ihre Kunden verkaufen wollen – gerade dieses Geschäft wächst seit Jahren.
Man darf sich die Nähe zwischen Prüfer und Mandant nicht zu simpel vorstellen. Dass die Prüfer von EY einem Anfangsverdacht betrügerischen Verhaltens bei Wirecard nicht weiter nachgegangen sind, habe auch psychologische Gründe gehabt, heißt es in der Branche: Schließlich bringt es dem Prüfer keine Sympathiepunkte, Fehler in den Zahlen eines Unternehmens aufzudecken und ein Testat zu verweigern, erst recht, wo es sich bei Wirecard um einen damals von allen bewunderten Jung-Star im Dax handelte. Wer will schon seinen Kunden verärgern? Sollte sich hinterher herausstellen, dass doch alles in Ordnung ist, ist der Reputationsschaden für Prüfer und Geprüfte hoch und die Wettbewerber reiben sich die Hände. Stattdessen kam es am Ende dann dazu, dass aus Angst vor Reputationsschaden für EY ein viel größerer Reputationsschaden entstand.
Das führt – ordnungspolitisch – zur größten Verhaltensauffälligkeit der Branche, dem Oligopol von vier Platzhirsche (»Big Four«) Deloitte, PwC, EY und KPMG. Es geht ein bisschen zu wie bei den »Zehn kleinen Jägermeistern« der »Toten Hosen«: Erst waren es fünf, dann verschwand Arthur Andersen. Jetzt droht EY das Aus. Es blieben noch drei Gesellschaften übrig. Bei funktionierendem Wettbewerb müsste jetzt ein kleiner Prüfer der »Next Ten« in den Olymp aufsteigen. Dass das nicht passiert, liege daran, dass die Kleineren der Branche die für das Wachstum erforderlichen hohen Investitionskosten nicht stemmen könnten, sagt man mir. Und dass die besten Uniabsolventen aus Karriere- und Einkommensgründen alle bei den Großen anheuern. So geben sich die Big Four bei den Dax-40 die Klinke in die Hand (mit Ausnahme von SAP, den kein Großer prüfen will, weil sich dort mit Beratung viel mehr verdienen lässt).
Oligopole müssen nicht per se schädlich sein, solange es einen harten Preis- und Qualitätswettbewerb gibt. Aber kann es gut sein, dass reihum immer die Gleichen rotieren? Und neuerdings auch wieder hohe Preise durchsetzen können? Schon droht der Staat, in einem künftig möglichen Dreierkarussel die Prüfungsmandate hoheitlich zu vergeben. Das würde den Teufel mit Beelzebub austreiben. Stattdessen wäre es den Schweiß der Edlen wert zu prüfen, wie sich die Zugangsschwelle zum Club der Wenigen senken ließe. Vielleicht hat die Monopolkommission ein bisschen Luft und kann sich Gedanken machen?
Rainer Hank