Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen10. September 2024
Das Ende der AmpelWie konnte es dazu kommen? Frag die Spieltheorie!
Der Ampel schägt die letzte Stunde. Wie konnte es so weit kommen? Zu sagen, das läge an der Dauerstreitereien von SPD, Grünen und Liberalen, greift zu kurz. Womöglich war es eher der anfängliche Konsens und ein initialer Schulterschluss zwischen Grünen und FDP, der der Ampel jetzt zum Verhängnis wird.
Ein Blick zurück zu den Bundestagswahlen 2021 lohnt. Betrachtet man die Verteilung der Sitze, rangierten auf Platz Eins die Sozialdemokraten. An zweiter Stelle stand die Union. Erst an dritter und vierter Stelle kamen Grüne und FDP. Man hätte deshalb erwarten können, dass es zu einer umgekehrten großen Koalition unter Führung der SPD gekommen wäre gemäß »Gamsons Gesetz«, wonach politische Macht in einer Regierung proportional zu den Stimmanteilen verteilt wird. Doch die Sozialdemokraten hatten nach drei Legislaturperioden mit Kanzlerin Angela Merkel die Lust auf die CDU/CSU verloren und eine abermalige »große« Koalition kategorisch ausgeschlossen. Damit freilich hatte sich die SPD verhandlungsstrategisch ohne Not selbst geschwächt.
Weil durch die SPD-Festlegung die beiden kleineren Parteien für eine Mehrheit dringend benötigt wurden, haben diese den Spieß umgedreht und sind wie die eigentlichen Wahlsieger aufgetreten. Robert Habeck und Christian Lindner rissen das Heft des Handelns an sich. Geschickt verstanden FDP und Grüne es, sich als die »Koalition der Gewinner«, der »Jungen« und der »Fortschrittlichen« darzustellen. Kein Blatt sollte zwischen Habeck und Lindner passen.
Das muss man sich in Erinnerung rufen, weil es aus heutiger Sicht wie aus einer fremden Welt tönt. In der heutigen Welt sagt Habeck: »Sollte ich jemals Bundeskanzler werden, wird Christian Lindner nicht Finanzminister werden.« Man darf in diesem Satz die Namen Lindner und Habeck risikolos vertauschen.
Die Ampelregierung war für Deutschland in mehrfacher Hinsicht ein gewagtes Experiment, was damals gar nicht richtig aufgefallen ist. Neu ist erstens, dass nach der Serie der großen Koalitionen die Regierungsmehrheit nicht proportional zu den Stimmenanteilen verteilt wurde, mithin Gamson’s Gesetz nicht gilt. Zweitens wird die Bundesrepublik zum ersten Mal in ihrer Geschichte von einer Koalition aus drei Parteien regiert. Ungewöhnlich ist zudem drittens, dass diese drei ideologisch denkbar weit auseinander liegen. Koalitionen werden üblicherweise von ideologischen Nachbarn geschmiedet.
Kooperieren oder nicht kooperieren?
Wie konnte es nun aber zur Zerrüttung des Bündnisses kommen und zur Abwanderung der Ampel-Wähler und dem Erstarken der extremen Ränder?
Ich versuche es mit einer Erklärung der ökonomischen Spieltheorie. In der Spieltheorie – stark vereinfacht für diese Kolumne – geht es darum, ob es für Akteure besser ist zu kooperieren oder nicht zu kooperieren. Die Antwort wird nicht moralisch entschieden (»Gute Menschen kooperieren«), sondern utilitaristisch: Bringt kooperieren oder nicht kooperieren den größeren Nutzen und Vorteil für den jeweiligen Akteur? Die Frage, was normativ die bessere Politik wäre (mehr oder weniger Sozialstaat, mehr oder weniger Umweltpolitik) ist spieltheoretisch ohne Belang.
Thomas König, ein Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mannheim und Fachmann für Spieltheorie, hat gerade eine Studie über das Regieren in Koalitionen abgeschlossen (»Coalition Governance. Learning to Govern Together. Oxford University Press«), die mir die Augen geöffnet hat. Die zwei Jahre Ampel-Regierung sind für den Forscher ein Paradebeispiel für den Umschlag von Kooperation zu Nicht-Kooperation. Und dafür, was so etwas mit den Bürgern macht.
König argumentiert wie folgt: Trotz aller ideologischer Positionsunterschiede der Ampelkoalitionäre konnten diese zu Beginn der Regierungszeit erstaunliche Erfolge bei der Krisenbewältigung gemeinsam erzielen. Insbesondere die Grünen stiegen in der Gunst der Wähler, weil sie entgegen ihrer Ideologie nach dem Energieschock Flüssiggasterminals (LNG) und eine zumindest kurzfristige Verlängerung der Atomlaufzeit unterstützten. Daraus, so König, konnte der Wähler schlussfolgern, dass das notwendig und richtig war, wenn selbst die Grünen dafür ihre Ideale opferten.
Doch dann kam die Wende: Von der Kooperation profitierten zu Beginn der Legislaturperiode ausschließlich die Grünen, während SPD und FDP in der Wählergunst stark abfielen – was in einer Koalition Streit befördert, weil man dem glücklichen Partner den Gewinn missgönnt und seine Vorschläge kritisiert, so dass der Wähler schlussfolgert, dass diese nicht notwendig oder gar richtig waren. So gesehen wäre es kein Zufall, dass SPD und FDP mit aller Macht die Inkompetenz der Grünen beim Heizungsgesetz (»Wärmepumpe«) öffentlichkeitswirksam beschworen haben (BILD: »Habecks Heizungs-Hammer«), woraufhin die Wähler die Grünen abstraften, wovon freilich die anderen Koalitionäre als Teil der Regierung nicht profitieren konnten.
Eingesperrt im Gefangenendilemma
Dass die Ampel-Koalitionäre in ihren Honeymoon-Wochen enge Kooperation gelobten und versprachen, einander den jeweiligen Erfolg nicht zu neiden, muss man im Nachhinein als Lippenbekenntnis deuten. Den Typus einer Koalition (ob kooperativ oder unkooperativ) erkenne man erst, wenn es mit dem Regieren losgegangen ist und nicht an den Absichtserklärungen des Koalitionsvertrags, sagt Thomas König.
Seit dem Heizungsgesetz gehen nun alle Ampelkoalitionäre davon aus, dass eine unkooperative Partnerschaft besteht – und verhalten sich entsprechend. Das führt dazu, dass das Timing von Regierungsvorlagen verschleppt wird, weil die Kosten einer unkooperativen Koalition höher als die Gewinne erachtet werden, die man durch frühzeitige Umsetzung der gemeinsamen Regierungsagenda erzielen kann. Es entsteht schließlich in der Wirtschaft, den Medien und der Bevölkerung der Eindruck, dass man nicht vorankommt und jeweilige Vorschläge bewusst torpediert und dadurch verschleppt werden. Daraus schlussfolgert der Wähler, dass diese weder notwendig noch richtig sind, was vor allem AfD und BSW mit ihrer Generalkritik ausschlachten und bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen als Erfolg verbuchen können.
Das Fazit ist bitter: Die Ampel-Akteure haben sich in ein Gefangenendilemma hineinmanövriert. Obwohl die Regierung (und die Bürger) von Kooperation profitieren würden, ist für jeden einzelne der drei Parteien nicht zu kooperieren rational. Schwindende Wählerakzeptanz führt (noch) dazu, dass keiner der Akteure durch einen Ausstieg aus der Koalition seine Lage verbessern würde (»Locked-In Syndrom«). Schon beginnen Teile der Ampel, sich der Union anzudienen: Grünen-Chef Nouripour diskreditiert die Ampel als »Übergangsregierung«, Kanzler Scholz geht nach dem Terror von Solingen als erstes auf Oppositionsführer Merz zu. Derartige Kapriolen werden die Ampel weiter zersetzen.
Rainer Hank