Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen15. Dezember 2020
Corona verdirbt die SittenSchleichend gewöhnen wir uns alle ans Staatsgeld
Je länger die Pandemie dauert, umso größer werden auch die von ihr angerichteten Kollateralschäden. Dass sich Bürger in der Not kollektiv solidarisch verhielten, hat sich als Illusion erwiesen, womit die vielen positiven Beispiele individuell karitativer Zuwendung nicht geschmälert werden sollen. Nachdem aber dem »Lockdown light« eine Logik der Verhältnismäßigkeit fehlt – die einen dürfen, die anderen dürfen nicht -, wurde ein Kompensationswettlauf diverser Opfergruppen um fiskalische Entschädigung für die ungerechtfertigten Freiheitsbeschränkungen losgetreten. Anstelle des Lohns gibt es Kurzarbeitergeld. Anstelle am Markt erwirtschafteter Einkommen gibt es November- und Dezembergeld. Das wird im kommenden Jahr so weitergehen, auch wenn die Berechnungsgrundlagen sind ändern. Die Kanzlerin sagt, man könne nicht bis zum Ultimo zahlen – sie meint, nicht bis zum jüngsten Tag. Das heißt umgekehrt: Staatsgeld wird es noch eine ganze Weile geben.
Ich will gar nicht bestreiten, dass staatliche Kompensationen für Corona-Schäden in dieser vermaledeiten Krise gerechtfertigt sind. Ich will auf die unbeabsichtigten Konsequenzen hinweisen, die verheerend sind: Corona verdirbt die Sitten. Und zwar schleichend. Wir alle bekommen mehr und mehr das Gefühl, in einer Gratiswelt zu leben. Kommt das Geld nicht von der Firma, dann kommt es halt vom Staat. Wer sich übergangen fühlt, muss nur laut genug schreien, dann kommt Frau Grütters oder Herr Altmaier alimentierend und strukturkonservierend vorbei. Die Corona-Opfer (ob Restaurantbesitzer oder Singer-Songwriter) machen jetzt häufig geltend, sie hätten doch in guten Zeiten viele Steuern bezahlt, woraus sich ein Anrecht begründe, in der Not etwas zurück zu bekommen. Es nistet sich das Missverständnis ein, Steuern zahle man als eine Art Sozialversicherung für kollektive Schicksalsschläge. Dabei gibt es bei Steuern gerade kein Äquivalenzprinzip. Steuern sind dazu da, öffentliche Leistungen zu finanzieren und Geld von den Reichen zu den Bedürftigen umzuverteilen.
Dass gerade jetzt die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens viele neue Freunde findet, verwundert nicht. Das wäre die Verstetigung der Corona-Hilfen in künftig seuchenfreie Friedenszeiten. Beunruhigend ist, dass das von einem parteiübergreifenden Bündnis kommt. Bei den Grünen, demnächst Koalitionspartner einer Bundesregierung, steht das Grundeinkommen sogar im Parteiprogramm. Die FDP liebäugelt schon lange damit, auch die AfD hegt große Sympathien. Dass Union und SPD nennenswerten Widerstand leisten werden, ist kaum zu erwarten: Wer will schon den Bürgern Gratiszahlungen vorenthalten? Auch die Eliten – von Richard David Precht bis Elon Musk – schwärmen vom bedingungslosen Grundeinkommen. Gemeinsam vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und dem Verein »Mein Grundeinkommen« gestartete Feldversuche sollen beweisen, dass erst so das Sicherheitsversprechen des Rechtsstaats (nachhaltig, gerecht, sozial ausgeglichen) eingelöst werde. Psychologen und Mediziner sekundieren: Das Grundeinkommen mache die Menschen gesünder, glücklicher und kreativer. Na dann!
Wenn Staatsverschuldung sich selbst finanziert
Einziger Haken einer dauerhaften und bedingungslosen Staatsalimentierung ist bislang seine Finanzierbarkeit. Irgendjemand muss schließlich den Bürgern ihr Gratiseinkommen verdienen: dafür bieten sich die Leistungseliten an, die hohe Einkommen und hohe Vermögen besitzen, wovon sie hohe Steuern zahlen können, die anschließendS an die Allgemeinheit bedingungslos umverteilt würden. Doch ob selbst nach drastischen Steuererhöhungen genügend Geld da wäre, ist fraglich: Gute Idee, aber schwer zu finanzieren, so lautete in der Regel der Zwischenstand zur Grundeinkommensidee.
Doch das könnte sich jetzt ändern. Das Zauberwort heißt Staatsverschuldung. Da setzt sich mehr und mehr selbst bei klugen Ökonomen der Glaube durch, ein Leben auf Pump sei unproblematisch, Schulden müssten nicht wie ein normaler Baukredit irgendwann zurückgezahlt werden, sondern verschwänden eines Tages ganz von selbst. So stellt man sich das Schlaraffenland vor: Von nun an bekommt jedermann ohne Bedürftigkeitsprüfung sein Lebtag lang ein garantiertes Monatseinkommen (1000 bis 1200 Euro sind im Gespräch), ohne dass dies irgendjemandem weh tut.
Über die Idee der sich selbst tilgenden Schulden habe ich am vergangenen Sonntag in dieser Kolumne geschrieben. Kurz gesagt, funktioniert es so: Die Realzinsen sind schon seit geraumer Zeit leicht negativ. Demgegenüber ist das Wachstum entwickelter Volkswirtschaften moderat positiv. Sofern der Zins, den die Staaten für ihre Schulden zahlen, auch auf längere Sicht niedriger bleibt als das jährliche Wachstum, verschwinden die Staatschulden von selbst: Die Schuldenquote schmilzt dahin; wir wachsen aus den Schulden raus. Ein Wunder, dass die Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens diese Selbstfinanzierungschancen bislang nicht als ihren stärksten Trumpf entdeckt haben.
Das Schlaraffenland als Verhängnis
Ob die Rechnung aufgeht? Man weiß leider so wenig über die Zukunft (siehe Corona). Ginge sie aber auf, wäre das aus meiner Sicht verheerend (siehe Sittenverderbnis). Warum die Rechnung riskant ist, hat der Harvard-Ökonom Gregory Mankiw vor ein paar Tagen in der New York Times gezeigt. Dass die Zinsen seit geraumer Zeit so niedrig sind, könnte nämlich daran liegen, dass den Unternehmen nichts mehr einfällt, wie und wo sie investieren könnten. Niedrigzinsen spiegeln niedrige Wachstumserwartungen, so Mankiw: Hätte er Recht, hätten wir die Differenz zwischen Zins und Wachstum als Enschuldungsvehikel zu positiv interpretiert. Es wäre keine frohe Verheißung des Schlaraffenlands, sondern gefährliches Signal ausbleibenden Wachstums, womit exakt jene Idee der wundersamen Schuldentilgung gefährdet wäre, die ja gerade auf stetiges Wachstum setzen muss. Wie schnell die Weltwirtschaft sich nach Corona erholen wird und ob die Gläubiger der Staatsschulden gelassen immer bleiben, kann niemand sagen. Und wo dann schon wieder die nächste Krise lauert, wissen wir auch nicht; der Krisenzyklus ist seit der Finanzkrise immer kürzer.
Dabei ist es ein besonderer Witz, dass viele Freunde des Grundeinkommens zugleich auch Freunde der modischen Schrumpfungs-Theorien (»Degrowth«) sind. Sie schwärmen vom einfachen Leben jenseits der Logik von Wachstum und Konsums und verteufeln damit genau jene Bedingungen (Wachstum!), die sie zur automatischen Finanzierung ihres Grundeinkommens dringend bräuchten.
Doch nehmen wir an, die Rechnung geht auf wir leben nach Corona alle im sich selbst finanzierenden Schlaraffenland? Dann sollten wir uns zweimal überlegen, ob wir das wollen. Guy Kirsch, ein Ökonom aus Luxemburg, hat vor einigen Jahren in der F.A.S. in einer brillanten Bildinterpretation von Pieter Brueghels »Schlaraffenland« gezeigt: Glück gibt es für uns Menschen nur als Lohn für Fleiß und Entbehrung. Im gratis gereichten Überfluss verlieren die Menschen den Sinn für Genuss. Schnell stellt sich Überdruss am Überfluss ein. Das Schlaraffenland der Staatsalimentierung bis zum Ultimo – es wäre ein von Corona bewirktes Verhängnis.
Rainer Hank