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  • 10. Mai 2021
    But, Schweiß und Patente

    Wem gehört das Patent? Foto Spencer Davis/pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Verhindert Big Pharma eine gerechte Verteilung von Corona-Impfstoff?

    Es gibt unterschiedliche Arten von Massenmord. Eine davon heißt »Patent«. Mit diesen beiden Sätzen beginnt der Schriftsteller Ilja Trojanow eine Kolumne in der »Tageszeitung« (taz). In einer Welt extremer sozialer Unterschiede entschieden Patente darüber, wer in der Pandemie überleben dürfe – und wer nicht.

    Trojanows Attacke ist keine Einzelmeinung. Aktivisten bedrängen Mitarbeiter von Impfstoffherstellern, die Patente rauszurücken, um sich nicht am Tod von Menschen zu versündigen. Pharmapatente trügen Schuld an einer künstlichen und somit profitablen Verknappung des Impfstoffs gegen Covid-19. Viel mehr Impfstoff könnte hergestellt werden, gäbe es das Patentrecht nicht. Während Industrienationen sich Zweidrittel aller Impfstoffe gesichert hätten, eskaliere die Lage in der armen Welt.

    Die meisten Impfstoffe gäbe es gar nicht, wäre ihre Erforschung nicht Jahrzehnte lang mit öffentlichen Milliarden finanziert worden, monieren die Patent-Kritiker. Warum sollen die Staaten für die Abnahme von Impfstoffen zahlen, die sie vorher bereits mit ihren Steuergeldern finanziert haben? Die private Aneignung öffentlichen Geldes wäre selbst in der kapitalistischen Logik eine Sünde: »Dieser Impfstoff gehört den Menschen«, rufen die Patent-Kritiker.

    Mitte vergangener Woche schloss sich die amerikanische Regierung der Forderung Indiens und Südafrikas an, die Welthandelsorganisation (WTO) solle die Patente für Corona-Impfstoffe aussetzen (genannt »waiver«), um »so viele Impfungen so schnell wie möglich zu so vielen Menschen wie möglich zu bringen«. Das Ziel wird niemand infrage stellen wollen. Die Frage ist, ob ein »waiver« dafür das richtige Instrument ist. Die altruistisch klingende Initiative Amerikas ist schon deshalb scheinheilig, weil kein Land bislang so wenig Impfstoff exportiert hat wie die Vereinigten Staaten. Die deutsche Kanzlerin hält dagegen. Noch.

    Die Profite gehören denen, die dafür ins Risiko gehen

    Fakt ist: Noch nie wurde derart rasch ein wirksamer Impfstoff entwickelt wie in dieser Pandemie, und zwar von privaten Unternehmen. Der Eindruck ist irreführend, die Staaten hätten den Firmen die Forschung bezahlt. Es sind die Strüngmann-Milliardäre, die mit dem Verkauf des Generikaherstellers Hexal ein Vermögen gemacht haben, die das Biontech-Gründerpaar Türeci und Sahin finanzieren. Dort waren sie schon 2007 mit 150 Millionen Euro eingestiegen, um Krebsmedikamente zu entwickeln. Staatliche Unterstützung gab es erst, als es konkret um die Entwicklung von Corona-Impfstoff ging. Wenn der Staat sich jetzt mit 300 Millionen Euro am Tübinger Impfstoffentwickler Curevac beteiligt, dann partizipiert der Steuerzahler als Großaktionär an den Kursgewinnen. So gerecht geht es im Kapitalismus zu. Der Impfstoff gehört den Menschen. Die Profite aber gehören jenen, die dafür ins Risiko gehen.

    Was aber ist mit den Patenten? Forschung und Entwicklung in der Pharmaindustrie sind geprägt von Versuch und Irrtum. Nicht jedes Projekt führt am Schluss zu einem wirksamen Arzneimittel. Allemal sind teure klinische Studien erforderlich, ein Umstand, welcher die Erforschung von Impfstoffen von der Entwicklung von Batterien unterscheidet. Um mit einem Medikament am Ende Geld zu verdienen, wurde vorher mit gescheiterten Medikamenten viel Geld verbrannt. Gäbe es nicht die Aussicht auf ein Patent, stünden wir heute ohne Biontech & Co. da. Damit leisten private Unternehmen in dieser Pandemie einen gesellschaftlichen Nutzen.

    Ich will noch etwas grundsätzlicher werden. Patente sind Monopole auf Zeit. Sie geben einem Unternehmen das Recht, eine Erfindung exklusiv zu nutzen. Will ein Konkurrent es ihm gleichtun, muss er dafür Lizenzgebühren zahlen. Geistiges Eigentum einfach plagiieren, steht unter Strafe. Ob das in der Wirtschaftsgeschichte den Fortschritt gefördert oder als Demotivation eher gebremst hat, ist auch unter Liberalen strittig. Mondpreise kann das Patent-Unternehmen nicht verlangen. Wie wir derzeit sehen, verhindert das Patentrecht nicht, dass gleichzeitig mehrere substituierbare Impfstoffe auf den Markt kommen. Dies wirkt als Treiber, schneller ein Medikament zu entwickeln als die anderen (»First mover advantage«). Schon deshalb ist auch fraglich, ob ein Aussetzen der Patente Impfstoffe verbilligen würde.
    Wie kann es überhaupt sein, dass inzwischen eine ganze Reihe von Impfstoffen verschiedener Hersteller auf dem Markt sind – trotz Patentschutz? Jetzt wird es kompliziert. Dafür hole ich mir Rat bei Reto Hilty in München. Er ist Direktor des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb und ein weltweit führender Fachmann für das Patentrecht. Hilty stellt klar: Es gibt im Moment noch gar keine erteilten Patente auf Covid-Impfstoffe. Das Prüfen der Patentanmeldung dauert nämlich oft Jahre. Lediglich für die dafür benötigte Grundlagentechnologie (etwa die »Spike-Proteine« der mRNA-Basis) müssen Lizenzen erworben werden. Diese Grundlagentechnologien indes haben noch andere vielversprechende Anwendungsbereiche, etwa in der Krebstherapie. Dass es ein Verteilproblem bei Corona-Impfstoffen gibt, liegt nicht am teuren Patentschutz, sondern hat andere Gründe. Würde man den Patentschutz für Corona-Impfstoffe aussetzen, würde man die weitere Krebsforschung gefährden, während in der Pandemie nichts gewonnen wäre. Fraglich wäre, ob die Forscher sich für künftige Entwicklungen abermals so ins Zeug legen würden wie bei der Entwicklung der Corona-Impfstoffe. Hilty warnt: »Wer in der Corona-Krise am Patentschutz rüttelt, spielt mit dem Feuer.«

    Patente bringen nichts, wenn es an Knowhow fehlt

    Wenn es also nicht an Monopol-Preisen liegt, dass vor allem die armen Länder keinen oder wenig Impfstoff haben, woran liegt es dann? Es fehle im Moment an Produktionskapazitäten und dem Personal mit dem entsprechenden Knowhow, sagt Hilty. Dass das Geschäft relativ kompliziert ist, sieht man schon daran, dass auch Biontech/Pfizer auf Kooperationen mit Novartis oder Sanofi angewiesen ist – immerhin Weltkonzerne. Kenia oder Ghana die Lizenzgebühren zu erlassen, brächte gar nichts: Die Länder könnten trotzdem keinen Impfstoff herstellen.

    Und Indien, jenes Land, das derzeit besonders gebeutelt ist? Indien verfügt selbst über eine starke Pharmaindustrie, die bis vor kurzem Millionen Dosen eines unter Lizenz von AstraZeneca produzierten Impfstoffes profitabel in die ganze Welt exportiert hat. Reto Hilty, mein Gewährsmann, weist darauf hin, dass Indien – die »Apotheke der Welt« – die führenden Hersteller von Generika (Nachahmerprodukten) beherbergt, die von der Aussetzung der Patente finanziell profitieren würden. So unschuldig, wie sie daherkommt, ist die WTO-Initiative also nicht. Für das Leiden Indiens unter der Pandemie sind nicht »böse« Patente verantwortlich, sondern die katastrophale Gesundheitspolitik von Ministerpräsident Narendra Modi.

    Dass jetzt eine Gerechtigkeitsdebatte über das Impfen geführt wird, ist nötig. Sie als Kampf gegen die Patente zu führen, läuft komplett in die falsche Richtung. So lange nicht für die gesamte Weltbevölkerung Impfstoff da ist, nötigt die Knappheit zu Rationierung. Das ist ein ethisches, kein ökonomisches Problem: Wären die Deutschen bereit, aus ihren Steuern bezahlten Impfstoff nach Afrika zu verschenken und dafür zwei oder drei Wochen auf den Piks zu warten?

    Rainer Hank