Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen12. April 2024
Brüsseler ImperialistenWie man in den Regenwald hineinruft, so schallt es heraus
Alles hat seine Geschichte. Auch der deutsche Wald. Den gibt es nämlich erst seit dem Jahr 1800. Gut, früher gab es auch schon Wälder. Bloß dass sich niemand um sie gekümmert hat, der Wald also kein Ort menschlichen Erlebens war. Erfunden haben den Wald die deutschen Romantiker und die deutschen Forstwirte. »O schöner, grüner Wald, Du meiner Lust und Wehen andächtiger Aufenthalt«, so dichtete Joseph von Eichendorff. Ludwig Tieck hat in seiner Novelle vom »Blonden Eckbert« (1796) ein neues Wort geprägt, das sogar im Englischen Karriere gemacht hat: die »Waldeinsamkeit« (wie zweihundert Jahre später dann das »Waldsterben«). »Im Wald, im Wald! da konnt› ich führen/Ein freies Leben mit Geistern und Tieren«, heißt es in Heinrich Heines »Waldeinsamkeit« (1851).
Als Ort der Sehnsucht, der Angst und des Rückzugs hat sich der Wald seither belebt: Mit Hexen, Nixen, Vögeln, Klettergärten – und Förstern. Als Heinrich Cotta, der Begründer der Forstwirtschaft, 1817 seine »Anweisung zum Waldbau« verfasste, konnte er weder wissen, dass seine Bemühungen, dietter und Dürren.
Ja, Sie haben richtig gelesen: Früher war weniger und nicht mehr Wald als heute. Jedenfalls hierzulande und auch im Rest von Europa. Allen Klagen über Entwaldung, Trockenheit und Borkenkäfern zum Trotz geht es uns waldmäßig ziemlich gut. Die große Entwaldung nach 1800 war vor allem dem Bedarf des Bergbaus und des Hüttenwesens geschuldet und zugleich Folge des wachsenden Exports von Holz im frühen 19. Jahrhundert. Dazu gibt es übrigens auch ein Wald-Märchen: »Das Kalte Herz« von Wilhelm Hauff. Der Einstieg ins Kohlezeitalter markiert dann den Übergang zur Ausbeutung der »unterirdischen Wälder«. Damit soll bekanntlich demnächst Schluss sein.
Ich speise mein Waldwissen aus einem Besuch der lehrreichen Wälder-Ausstellung, die man noch bis zum 11. August gleich an drei Orten in und um Frankfurt besuchen kann: Im Senckenberg-Museum (Naturkunde), im Romantikmuseum (Dichtung und Musik) und im Sinclair-Haus in Bad Homburg (Malerei). Die Ausstellung ist sehr zu empfehlen zum Beispiel an Wochenenden wie dem vergangenen Osterfest, wo es im echten Wald zu kalt und zu nass war.
Entwaldungsfreie Lieferketten
Inzwischen, wie gesagt, brauchen wir uns um den deutschen Wald nur wenig Sorgen zu machen: Er wächst! Ein Drittel der Fläche ist Wald. Problematischer sieht es in den tropischen Regenwäldern aus, die dem Anbau von Soja, Kaffee oder Kakau weichen müssen, durch Ölpalmen ersetzt werden oder als Weidefläche zur Rinderzucht dienen. Das schadet dem Klima, mindert die Artenvielfalt und kostet indigenen Stämmen ihren angestammten Lebensraum.
Aus diesem Grund gibt es jetzt die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten, abgekürzt EUDR (EU-Deforestation-Regulation). Sie verbietet den Handel von Rohstoffen und Produkten, die eine Entwaldung oder Waldschädigung verursachen und lastet den Nachweis dafür den hiesigen Unternehmen an. Es um Soja, Palmöl, Holz (Zeitungspapier), Kaffee, Kakao, Naturkautschuk (Automobilindustrie) und Rinder.
Die Verordnung ist seit Juli 2023 in Kraft und muss spätesten im Dezember dieses Jahres umgesetzt werden. Sie ist ein Musterbeispiel für Brüsseler Bürokratisierung, enthält 62 detaillierte Vorschriften: alle Importprodukte müssen sich zu den betroffenen Grundstücksflächen zurückverfolgen lassen. Dabei geht es nicht nur um den Nachweis, dass dafür kein Baum gefällt werden musste. Hiesige Marktteilnehmer müssen in einer Sorgfaltserklärung auch bestätigen, dass die Produkte gemäß der »einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes hergestellt« worden sind. Dazu zählen Vorschriften zur Landgewinnung, Arbeitnehmerrechte und völkerrechtlich geschützte Menschenrechte. Geldstrafen bei Verstößen können bis zu vier Prozent des EU-weiten Gesamtumsatzes eines Unternehmens betragen.
Und was sagt der »globale Süden«, dem die Entwaldungs-Verordnung doch zugutekommen soll: Klima und Artenschutz, Wahrung von Menschen-, Kinder- und Arbeitnehmerrechten? Die Begeisterung hält sich, vorsichtig gesprochen, in Grenzen. Von »regulatorischem Imperialismus« spricht der Wirtschaftsminister Indonesiens in einem Interview mit der New York Times. Der Süden müsse die Zeche dafür zahlen, dass die wohlhabenden Staaten im Norden jahrzehntelang die Abholzung ihrer Wälder in Kauf genommen hätten und jetzt die Gutmenschen spielen. Nicht zuletzt für kleine Produzenten seien die bürokratischen Vorschriften zur Dokumentation ihrer Waldflächen nicht zu stemmen. Das zwinge sie dazu, ihr Land zu verkaufen. Massenhafte Verarmung werde die Folge sein. Lokale Zwischenhändler mixten traditionell die Rohstoffe verschiedener Erzeuger, deren Herkunft sich schon vor Ort schwer nachvollziehen lasse, geschweige denn am Ende der Lieferkette.
Neo-Imperialismus plus Protektionismus
Der Vorwurf des Neo-Imperialismus trifft die EU nicht zu Unrecht. Er paart sich mit dem Verdacht des Protektionismus zum Schutz der europäischen Landwirtschaft. Wenn Palmöl durch die Bürokratiekosten zu teuer wird, eröffnet dies Chancen für pflanzliches Öl aus der EU-Landwirtschaft. »Ist Neokolonialismus erlaubt, wenn er sich als klimapolitisch gute Tat geriert?«, so die polemische Reaktion von Ländern in Südostasien. Vor allem Indonesien und Malaysia hat der Palmöl-Boom der vergangenen Jahre einen Weg aus der Armut und zu Wohlstand gewiesen. Bis zu 4,5 Millionen Menschen sind in diesen Ländern neu in Lohn und Brot gekommen. Ihre Regierungen wehren sich jetzt dagegen, dass das Entwaldungsprogramm der EU zu ihrem Verarmungsprogramm wird.
Was soll man machen? Anmaßend finde ich den Anspruch des »reichen Nordens«, die Produktionsbedingungen im »globalen Süden« diktieren zu wollen. Aus dem Verbot von Deforestation wird De-Globalisierung, was am Ende zu Verarmung im Süden und schwindendem Wohlstand im reichen Norden führt.
»Für die Transformation müssen alle Opfer bringen«, entgegnen die Klima-Moralisten, geben sich als Freunde neuer Waldeinsamkeit, bürden dem Süden die Kosten auf – und verschweigen, dass es bessere, wenngleich auch nicht perfekte klimapolitische Instrumente gibt als den »regulatorischen Imperialismus«. Zum Beispiel einen freiwilligen »Klimaclub« aller transformationswilligen Staaten, die einen einheitlichen CO2–Preis vereinbaren und die Kosten der Transformation gerechter verteilen. Viele Ökonomen werben dafür schon lange. Bislang ohne Erfolg.Rainer Hank