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  • 14. Januar 2022
    Bleibt die Inflation?

    Weniger Wert Foto Pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Versuch eines Zwischenstands im Lagerkampf

    Versetzen wir uns ein Jahr zurück: Ende 2020, nach einem knappen Jahr Pandemie, waren viele Fachleute der Meinung, Inflation sei kein Thema (mehr). Ihr Argument: Obwohl seit der Finanz- und Eurokrise, also seit über zehn Jahren, die Zentralbanken auf der ganzen Welt die Märkte mit enormen Geldsummen fluten, hat sich an den Preisen der Güter und Dienstleistungen kaum etwas geändert. Nicht der Inflation, sondern der Deflation galt die Sorge. Inflation, so die Vermutung damals, bleibe ein Ausreißer der Weltwirtschaftsgeschichte – begrenzt auf das kurze 20. Jahrhundert. In den Jahrhunderten zuvor stiegen die Preise nicht nur extrem langsam, sondern stagnierten sogar über lange Zeit.

    So kann man sich täuschen. Die USA melden für 2021 eine Teuerungsrate von 6,8 Prozent. Im Euroraum sind es knapp 5 Prozent; in Deutschland waren es im Dezember 5,3 Prozent. Man muss Jahrzehnte zurückblicken, um vergleichbare Inflationsgeschwindigkeiten zu finden. Die EZB mühte sich jahrelang, die Inflation auf »nahe zwei Prozent« hochzudrücken, weil sie das für eine Voraussetzung stabiler Preise hält. Und was macht nach langem Dämmerschlaf die Inflation: sie hält sich nicht an die Ziele von Frau Lagarde, sondern schießt gleich mehr als doppelt so hoch.

    Zu viel Geld und zu wenig Güter

    Weil eine jüngere Generation ohne die Erfahrung von Inflation groß geworden ist, seien hier zwei einfache Fragen zwischengeschoben: Was ist Inflation? Und was ist so schlimm daran? Die klassische Definition lautet: Zu viel Geld trifft auf zu wenige Güter. Oder, mit Milton Friedman: »Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen.« Schlimm? Klar, wir können uns dann weniger leisten als zuvor und das Sparguthaben schrumpft. Doch gesetzt den Fall, dass im selben Takt auch unsere Löhne, Renten, Aktien oder Immobilien sich verteuern, wäre das doch zu verkraften. Ein Haus- oder Autokredit tilgt sich am Ende sogar mit weniger Aufwand, wenn es Inflation gibt.
    Wie immer im Leben, gibt es auch bei der Inflation Gewinner und Verlierer. Doch Verluste fühlen sich übler an als Gewinne, sagt die Verhaltensökonomie. Während die Menschen steigende Gehälter als fairen Lohn für ihre Arbeit werten, erscheinen uns höhere Preise beim Friseur oder im Autohaus als freche Willkür. Wer erwartet, dass alles teurer wird, zieht größere Anschaffungen vor und heizt – unbeabsichtigt – die Inflation nur noch an.

    Geht das bald vorbei? Oder müssen wir noch lange mit der Teuerung leben – schlimmstenfalls sogar mit noch höheren Preissprüngen? Die Ökonomenwelt ist gespalten, ob wir es mit einem vorübergehenden oder dauerhaften Phänomen zu tun haben. Es haben sich zwei Teams gebildet, die sich seit Wochen ein Match liefern. Die Optimisten, nennen wir sie einmal so, versammeln sich unter #Team Transitory, die Pessimisten unter #Team Persistent. Beide Teams schicken ihre besten Leute in den Kampf; und anders als sonst, finden sich zum Beispiel in beiden Teams kluge Keynesianer.

    Ich fasse die wichtigsten Argumente zusammen, damit wir am Ende einen Punktestand notieren können.

    Zunächst »Team Transitory«. Dort verweist man auf die Pandemie. So wie die Pandemie vorrübergeht, so werde auch die Inflation als ihre Folge bald vorbei sein. Dass es derzeit zu Lieferengpässen komme, sei kein Wunder: Gibt es bei den Vorprodukten für eine deutsche Maschine irgendwo in Asien Corona-Infektionen, stockt die Fertigung, die Produzenten können die Produkte nicht auf die Reise schicken. Und das gerade in einer Zeit, in der die Leute verstärkt Güter statt Dienstleistungen nachfragen, was auch ein Grund für höhere Energiepreise ist. Symbol dafür sind die Peloton-Heimtrainer, die boomen, weil die Fitness-Studios geschlossen haben oder der Besuch dort zu riskant ist. Das viele Geld, das vor allem im ersten Pandemie-Jahr 2020 zwangsgespart wurde (50 Prozent mehr als sonst in Deutschland) verlangt nach Konsumchancen. »Das gibt sich wieder«, versichert Paul Krugman, Kapitän dieses Teams.

    Nachkriegszeit oder 70er Jahre?

    Krugman hat eine historische Analogie: Im den Nachkriegsjahren 1946 bis 1948 kam es wie heute vorübergehend zu höheren Preisen. Im Krieg waren viele Güter rationiert – danach warfen die Leute das Geld mit vollen Händen auf den Markt. Ähnlich war es auch nach dem Korea-Krieg, sagt Krugman. Ein klassischer Fall einer vorübergehenden »Nachfragesog-Inflation«.

    Wenn die Nachkriegsinflation das stärkste Argument von »Team Transitory« sei, dann müsse man sich umso mehr vor dauerhafter Teuerung fürchten, höhnt der Ökonom Laurence (»Larry«) Summers, Spielführer im »Team Persistent«. Dort verweist man auf das viele Geld, das über die Kanäle der Fiskal- und Geldpolitik in die Welt geflossen ist. Global summieren sich bis heute allein die fiskalischen Stimuli auf 10,8 Billionen Dollar; das sind zehn Prozent des Welt-Bruttosozialprodukts. Hinzu kommen 9 Billionen Dollar, die durch die Anleihekaufprogramme der Notenbanken (QE) in Umlauf gebracht wurden. Einiges ging an Menschen und Unternehmen, die durch die Pandemie schwer geschädigt wurden. Aber das meiste wurde unabhängig von der Bedürftigkeit verschickt oder als Helikoptergeld symbolisch aus der Luft als Anreiz abgeworfen, um die Nachfrage in Gang zu bringen. Genau so ist es jetzt gekommen, die Nachfrage explodiert.

    Das Lieferengpass-Argument wischt »Team Persistent« vom Tisch: Die Häfen wären nicht verstopft, wenn die Menschen nicht versuchen würden, eine Vielzahl von Waren zu kaufen. Die passende historische Analogie ist für dieses Team nicht die Nachkriegszeit, sondern die Phase der siebziger Jahre, wo Preise und Löhne stark anzogen, ohne dass die Wirtschaft gewachsen wäre (»Stagflation«).

    Soweit halten sich die Argumente fast die Waage und man würde hoffen, »Team Transitory« könne obsiegen. Allerdings gibt inzwischen Paul Krugman zu, dass er sich unter »vorübergehend« einen kürzeren Zeitraum vorgestellt hat. Alles im Leben ist am Ende »vorübergehend«, doch so weit dürfen die Optimisten ihre Begrifflichkeit nicht überdehnen. Die Pessimisten sehen viele Anzeichen für eine hartnäckige und dauerhafte Inflation. Die Staaten (und die meisten Notenbanken) buttern immer noch viel Geld in die Wirtschaft: Jetzt geht es gegen den Klimawandel (»Greenflation«). Überall werden die Arbeitskräfte aus demographischen Gründen knapp, in Amerika haben die Leute die Lust am Arbeiten verloren (»Great Resignation«), während die verrenteten Babyboomer ihr vieles Geld ausgeben wollen. Daraus dürfte die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale werden.

    Zwischenbilanz, Januar 2021: »Team Persistent« liegt klar vorne. Die Zentralbanken haben sich nahezu handlungsunfähig gemacht, um gegenzusteuern. Ex-Ifo-Chef Hans Werner Sinn: »Wir fahren ein Auto ohne Bremse«.

    Rainer Hank