Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen18. Oktober 2024
Arme MännerFrauen auf der Überholspur. Und die Männer pennen.
Frauen sind benachteiligt: Sie verdienen weniger als Männer, sind schlechter ausgebildet und tragen die Hauptlast der Kindererziehung. An dieser Ungerechtigkeit ändert sich nur wenig. So geht die gängige Erzählung. Deshalb haben die Politiker den Equal Pay Day erfunden, werden gesetzliche Quoten für Vorstände und Aufsichtsräte erzwungen und Mint-Programme eingeführt, mit denen Schülerinnen die Freude an Mathe, Physik und Informatik vermittelt werden soll, was für später ein höheres Einkommen verspricht.
Das ist alles nicht völlig falsch, wenn man sich statisch auf den Ist-Zustand konzentriert. Überall klaffen Lücken: Einkommens-, Betreuungs- Gerechtigkeitslücken. Lücken, die geschlossen werden wollen. Doch die statische Betrachtung verstellt den Blick auf die Dynamik der Veränderung im Zeitverlauf. Leicht wird übersehen, dass die Frauen nicht nur aufholen, sondern auch bereits überholen. Das ist eine gute Nachricht. Allerdings sollte man die Frage, wo die Opfer stecken, neu justieren.
Zunächst ein paar Daten. Seit Wintersemester 2021/2022 studieren erstmalig mehr Frauen als Männer an deutschen Hochschulen. In einer ganzen Reihe reicher Länder ist inzwischen der Anteil der Frauen mit einem Universitätsdiplom höher als der der Männer. In USA und Großbritannien beträgt der Unterschied jeweils mehr als zehn Prozent. Im Vereinigten Königreich sind inzwischen mehr junge Frauen in Lohn und Brot als junge Männer. Auch das Gender-Pay-Gap beginnt sich zu drehen.
Männer ohne Job und Ausbildung
Das sind Daten der OECD, die ich einem statistischen Überblick der »Financial Times« von Mitte September entnehme. Man könnte eine Erfolgsfanfare erschallen lassen, gäbe es nicht auch eine Kehrseite. Das sind die jungen Männer. Sie fühlen sich im Wettbewerb mit den überholenden jungen Frauen überfordert und nicht zu besseren Leistungen herausgefordert. Stattdessen neigen sie zu Resignation. Über alle OECD-Länder hinweg wächst der Anteil junger Männer, die weder einen Job haben noch sich in Ausbildung befinden. In Großbritannien, Frankreich, Spanien und Kanada befinden sich inzwischen mehr junge Männer als Frauen abseits gesellschaftlicher Teilhabe in Arbeit oder Studium. So etwas gab es nicht seit dem Beginn der Industrialisierung.
Wenn junge Frauen weder in Ausbildung noch in Arbeit sind, dann weil sie sich auf Familie und Kinder fokussieren – das ist bei den jungen Männern nicht der Fall. Sie machen buchstäblich nichts, leiden zunehmend unter psychischen Krankheiten. Und neigen dazu, populistische und extremistische Parteien (seien sie rechts- oder linksextremistisch) zu wählen.
In Deutschland lässt sich das alles nur in abgeschwächter Form beobachten. Das ergibt meine Nachfrage bei Enzo Weber. Er ist Ökonomieprofessor und arbeitet am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, einer staatlichen Einrichtung. All die »Gaps« der Lebens- und Arbeitswelt fallen hierzulande immer noch zu Lasten der Frauen offen, aber sie schrumpfen. So beträgt der Gender-Pay-Gap, der die Verdienste auf vergleichbare Tätigkeiten und Qualifikationen bezogen vergleicht, inzwischen »nur« noch sechs Prozent. Der »Gender-Hour-Gap«, der die Zahl der monatlich gearbeiteten und bezahlten Stunden beziffert, liegt bei 18 Prozent. Vor zehn Jahren waren es noch 22 Prozent. Die Ausbildungsvergütungen für Mädchen sind inzwischen höher als für Jungen. Die Löhne und Gehälter in vergleichbaren Berufen und bei vergleichbaren Qualifikationen lassen bis ungefähr zum dreißigsten Lebensjahr keine Diskriminierung mehr erkennen.
Das bedeutet: Auch hierzulande holen die Frauen gehörig auf. Geht es so weiter, werden sie – wie jetzt schon die Studentinnen – ihre männlichen Altersgenossen auch in der Arbeitswelt bald überholt haben. Dass letztere im Gegenzug hierzulande dazu neigen, sich aus der Bildungs- und Arbeitswelt zu verabschieden, ist glücklicherweise nicht zu konstatieren. Aber Verhaltensauffälligkeiten bei jungen Männern – ADHS-Zappelphilippe – werden auch in Deutschland immer häufiger gezählt. Dass die Jüngeren zunehmend populistisch wählen, haben die vergangenen Wahlen im Osten gezeigt.
Was ist mit »child penalty«?
Bleibt als große Diskriminierung der finanzielle Einschnitt, sobald die Kinder kommen. Ein Einschnitt, der in der Forschung ein bisschen kinderunfreundlich als »child penalty« oder »mother penalty« bezeichnet wird: also als Strafe für die Mutterschaft, denn der Einkommensabstand zwischen Müttern und Vätern vergrößert sich etwa vom 30. Lebensjahr wieder. Nach einer Studie, die 2019 unter an der Princeton Universität angefertigt wurde, fallen die Einkommen der Mütter bis zu einem Drittel im ersten Jahr nach der Geburt des ersten Kindes zurück, während die Väter munter ihr Einkommen steigern und erfolgreich an ihrer Karriere basteln. Zehn Jahre später betrug der Lohnabschlag für die Mütter immer noch rund zwanzig Prozent.
Die Theorie der Child Penalty wurde, wie häufig in der Wissenschaft, methodisch angezweifelt. Der Storch bringe die Kinder nicht randomisiert in die Welt, so lautet die Kritik. Das heißt: Durch Zufall zustande kommende Kontrollgruppen kinderloser Frauen gibt es in diesen Forschungen nicht. Vergleicht man dagegen Frauen, die sich einer künstlichen Befruchtung unterzogen haben, ist eine solche Randomisierung möglich. Denn da weiß man vor der Behandlung nicht, wer schwanger wird. Und siehe da: In solche Studien beträgt der Abstand zwischen Müttern und kinderlos gebliebenen Frauen »lediglich« zwanzig Prozent und schrumpft zehn Jahre später auf nur noch drei Prozent zusammen. Gleichwohl: In der Zwischenzeit vermochten die Väter ihr Einkommen um zehn Prozent zu verbessern.
Ich vermute, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch die Mütter gleichziehen, eine Vermutung, die nicht überall geteilt wird. Immer mehr Väter wollen ihre Arbeitszeit reduzieren, während immer mehr Mütter nach der Babypause wieder Vollzeit arbeiten oder zumindest eine relative hohe Teilzeit wählen. Die Knappheit des Arbeitsangebots in Zeiten der Vollbeschäftigung wird die Unternehmen zudem dazu nötigen, den Müttern flexiblere Bedingungen zu bieten und sie besser zu bezahlen. Würde dann hierzulande auch noch das Mütterarbeitshindernis »Ehegattensplitting« abgeschafft, wage ich zu prognostizieren, dass auf mittlere Sicht auch die »mother penalty« weiter schrumpfen und auf lange Sicht ganz verschwinden wird.
Ich fasse zusammen: Die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in Arbeitswelt ändern sich dramatisch. Die alten Narrative – Frauen werden sind immer Opfer – werden dagegen unverändert weitererzählt. Dabei sind im Zeitverlauf die Frauen die wahren Gewinner wachsender Gleichberechtigung. Das ist ein Fortschritt, den Frauen und Männer feiern sollten, statt die alten Weinerlichkeiten zu pflegen.
Rainer Hank