Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen05. Januar 2022
Alternativen zur ImpfpflichtWie wäre es mit höheren Versicherungsprämien für Ungeimpfte?
Wie bringt man Menschen zum Impfen? Eine Gesellschaft, die der europäischen Aufklärung verpflichtet ist, würde auf die Kraft des informierten Arguments setzen. Und hoffen, dass die Erkenntnis ein entsprechendes Verhalten nach sich zieht. Wenn es also erwiesen ist, dass (derzeit) eine dreifache Impfung ziemlich gut gegen eine Infektion schützt, dann spricht alles dafür, auf der Stelle das nächstgelegene Impfzentrum aufzusuchen. Im Kosten-Nutzen-Vergleich ist die Sorge vor Nebenwirkungen, wenn nicht zu vernachlässigen, so zumindest als sehr gering zu werten.
Das ist das individuelle Nutzen-Kalkül. Die Impfung ist zudem ethisch aus altruistischen Gründen geboten, weil wir dann dem Virus immer weniger Chancen geben, sein ansteckendes Geschäftsmodell zu verfolgen. Wenn ausreichend viele Menschen geimpft sind, kann das Leben wieder losgehen. Entsprechend setzen Bundesregierung, Robert-Koch-Institut & Co. seit es den Impfstoff gibt auf Aufklärung. Tut sich wenig, heißt es: Wir müssen eben noch besser und gründlicher informieren.
Dumm nur, dass die Welt nicht nach diesem rationalen Informations-Verhaltens-Mechanismus funktioniert. Das haben zwei Mediziner des »Massachusetts General Hospital (MGH)« in Boston gerade wieder gezeigt und darüber in der »New York Times« vom 22. Dezember berichtet. In ihrer Studie haben sie Daten von 750 000 Kindern ausgewertet, die mit dem Papillomavirus geimpft werden sollten, eine Impfung, die vor Gebärmutterhalskrebs schützt. Das Vakzin gibt es seit 2006, wird von Ärzten dringend empfohlen, stößt aber (vergleichbar dem Covid-Impfstoff) auf massive Gegnerschaft etwa unter konservativ-religiösen Eltern, welche die Impfung als Aufforderung zu vorehelichem Sex missverstehen wollen.
Die Ärzte wollten nun wissen, ob Töchter von ungeimpften Müttern, die an Krebs erkrankt waren, eher bereit sind, sich impfen zu lassen (oder von den Müttern zur Impfung geschickt wurden). Diese erkrankten Frauen würden sich mutmaßlich besser über die schwere Krankheit informiert haben. Außerdem hätten die Töchter über das Leiden ihrer Mutter eine Vorstellung von der Krankheit bekommen und müssten alles daransetzen, sich selbst vor einem solchen Schicksal zu schützen – eben durch die Impfung.
Das Resultat der MGH-Studie ist ernüchternd: Die Kinder der mit dem Virus infizierten Mütter zeigten keine höhere Impfneigung im Vergleich zu den »uninformierten« Mädchen. Das Erleben der Krankheit in der eigenen Familie trägt nicht dazu bei, die Impfquote zu erhöhen. Das lässt sich auf den Widerstand der Impfmuffel in der jetzigen Pandemie übertragen: Familienmitglieder hospitalisierter Angehöriger widersetze sich nicht selten einer Impfung, obwohl sie »hautnah« das Elend erlebt haben, das eine Covid-Erkrankung mit sich bringen kann.Information führt nicht zu Verhaltensänderung
Die beiden MGH-Ärzte bringen Beispiele von Ärzten, die in ihren Praxen gegen Windpocken impfen – ihre eigene Kinder aber nicht von der Notwendigkeit dieser Impfung überzeugen können (oder wollen). Axel Ockenfels, ein Ökonom an der Universität zu Köln und in diesem Jahr mein Gewährsmann in Sachen Verhaltensforschung, macht mich auf eine neue Studie aufmerksam, die nahelegt, dass Ärzte als Patienten bei der Einhaltung von medizinischen Leitlinien bestenfalls geringfügig besser abschneiden als Patienten ohne jegliche medizinische Expertise. Der Nutzen von medizinischem Wissen für bessere Gesundheitsentscheidungen ist sehr begrenzt. Dass wir zu wenig Sport treiben, Medikamente nicht wie verschrieben einnehmen, zu wenig fürs Alter vorsorgen und uns beim Autofahren vom Handy ablenken lassen, liegt bekanntlich nicht daran, dass wir nicht wüssten, dass dies unserem Interesse zuwiderläuft, sagt Ockenfels.
Wenn die Information nicht zur Verhaltensänderung führt, welche Alternativen gibt es dann? Ökonomen empfehlen in ihrem »Instrumentenkasten« (wie man heute sagt) Anreize – vornehm: Incentives. Die gibt es in positiver und negativer Ausfertigung. Positive Anreize sind Belohnungen: Jeder Impfwillige nimmt zum Beispiel an einer Lotterie teil und hat die Chance auf einen Gewinn von, sagen wir, 500 Euro. Die 2G-Regelung lässt sich ebenfalls als positiven Anreiz werten: Nur Geimpfte kommen in den Genuss eines Silvestermenüs im Zweisterne-Restaurant.
Positive Anreize wirken – aber sie wirken nicht besonders gut. Negative Anreize wirken am allerbesten. Wir Menschen sind auf Strafe konditioniert, kein schöner Zug von uns Kindern der Aufklärung. Es gibt diese Negativanreize in harter oder weniger harter Form. Hart wäre es, Ungeimpften mit der Kündigung ihres Arbeitsplatzes zu drohen, lassen wir außen vor, ob das arbeitsrechtlich durchginge. Hart, aber fair, wäre es, Ungeimpfte die Aufnahme in die Intensivstation zu verweigern, wenn es dort knapp wird und auch Geimpfte vor der Tür stehen. Nicht ganz so hart wäre es, Ungeimpfte zwar auf Intensiv zu behandeln und ihnen hinterher die Kosten für den Klinikaufenthalt in Rechnung zu stellen; das kann sich in schweren Fällen auf 30 000 Euro summieren.
Risikoadäquate Prämien
In der vergangenen Woche sorgte ein Vorschlag des bayerischen Gesundheitsministers für Furore, von Nichtgeimpften höhere Beiträge zur Krankenversicherung zu kassieren. Denn die Nichtgeimpften verursachen auch höhere Kosten. Den Vorschlag finde ich bedenkenswert. Eine höhere Versicherungsprämie wäre keine Freiheitsbeschränkung – jedermann wäre frei, mehr zu zahlen, will er sich nicht impfen lassen. Außerdem nötigt der Vorschlag den Ungeimpften nicht ab, ihrem (Irr)glauben abzuschwören. Ein risikoadäquater Preis hat – wie immer bei Preisen – nichts mit wahr oder falsch zu tun. Der Einwand, die Gesundheitsvorsorge sei eine Solidarversicherung, die das individuelle Verhalten nicht bewerten dürfe, zieht nur dann, wenn man Krankheit als unabwendbares Schicksal betrachtet. Doch gerade im Fall der Pandemie ist die Schwere der Erkrankung durch eine Impfung individuell beeinflussbar. Eigenverantwortung zählt nicht nur im Straßenverkehr, wo die Telematik-Tarife der Kfz-Versicherung schon seit längerem die Raser finanziell bestrafen.
Wer Preisdiskriminierung zwischen Geimpften und Ungeimpften bei der Krankenversicherung ablehnt, muss argumentieren, dass diese im Kern keine Versicherung ist. Das ethische Prinzip dahinter wäre nicht der Wunsch, den Versicherungsvorteil zu realisieren, sondern Garantien einer Mindestversorgung zu geben, die unabhängig vom Vorverhalten und von Zahlungsfähigkeit und -bereitschaft sind. So kann man argumentieren. Doch dann wird es eng, wollen wir eine hohe Impfquote erreichen.
Die Einsichten der Verhaltensforschung sind kein Ruhmesblatt für die menschliche Natur: Wir preisen den Mut, uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen, und ändern unser Verhalten in erster Linie aus Angst vor Strafe.Rainer Hank