Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen06. Januar 2023
Abschöpfer auf AbwegenWarum Politiker den Strompreis nicht verstehen
Vom 1. Januar an greift in Deutschland die Strompreisbremse. Für private Verbraucher sowie kleine Unternehmen wird die Rechnung bei 40 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. Dies gilt für den Basisbedarf von 80 Prozent des historischen Verbrauchs. Die Bundesregierung will mit dieser Maßnahme die Bürger entlasten, die unter den hohen Energiekosten leiden.
Subventionierte Preise bringen mit sich, dass irgendjemand die Differenz zwischen Marktpreis und gedeckeltem Preis bezahlen muss. Bei der Gaspreisbremse, die parallel zur Strompreisbremse greift, übernimmt der Staat die Kosten, der sich dafür verschuldet. Letztlich finanzieren die künftigen Steuerbürger unsere heutige Entlastung. Bei der Strompreisbremse will der Staat sich einen Teil der Kosten von den Energieerzeugern zurückholen und sich an deren hohen Gewinnen schadlos halten. Auf diese Weise soll ein zweistelliger Milliardenbetrag zusammenkommen.
»Übergewinne abschöpfen«, das ist in einer Marktwirtschaft eine ziemlich unerhörte Maßnahme, die noch dazu dürftig begründet ist. Natürlich holt sich jeder Staat einen Teil der Gewinne seiner Bürger, um damit öffentliche Aufgaben (von der Bildung über die Infrastruktur bis zur Verteidigung) zu finanzieren. Dafür erlässt er Steuergesetze, die für alle betroffenen Unternehmen gleichermaßen gelten, einerlei, woher die Gewinne stammen und wie hoch sie ausfallen. Die Strompreisbremse hingegen ist ein willkürlicher Eingriff für bestimmte Unternehmen, was nicht zuletzt der aggressive Begriff des »Abschöpfens von Zufallsgewinnen« verrät. Macht dies Schule, können künftig auch Zufallsgewinne zum Beispiel von Börsenspekulanten abgeschöpft werden, die ja ebenfalls nicht durch besondere Leistung oder hohe Kosten gerechtfertigt sind.
Als eifrige Abschöpferin profiliert sich auch die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen. Sie kündigt für das kommende Jahr »tiefgreifende Reformen« der Strommarktordnung an. Das derzeitige Strommarktdesign, das den Erzeugern bei niedrigen Produktionskosten ungerechtfertigt hohe Gewinne beschere, sei nicht mehr zeitgemäß. So weit sind wir also schon, dass in Brüssel darüber befunden wird, welche Gewinne in welchen Branchen zeitgemäß sind und welche nicht.
Ein Video als Nachhilfe
Politiker beweisen mit solchen Äußerungen, dass sie nicht verstanden haben, was sie kritisieren. Allen, die es verstehen wollen, empfehle ich ein kleines Video von Lion Hirth. Der Mann ist Ökonomie-Professor an der Hertie-School in Berlin, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Energiepreisen und ist Mitglied der Gaspreiskommission der Bundesregierung. Ich garantiere jedem, der es sich ansieht, eine steile Lernkurve mit vielen Aha-Effekten. Man kann da zum Beispiel lernen, warum Bier morgens und abends unabhängig von der Nachfrage gleich viel kostet, während der Strompreis im Tagesverlauf extrem schwankt.
Preise am Strommarkt bilden sich in der sogenannten Merit Order. Die besagt: Maßgeblich für den Strompreis sind die Produktionskosten des letzten noch benötigten Kraftwerks. Dieser Preis gilt für alle Erzeuger gleichermaßen. Windräder oder Kernkraftwerke produzieren besonders günstig, Braun- und Steinkohle haben höhere Kosten, besonders teuer wird es bei der Umwandlung von Gas in Strom. Ist die Nachfrage nach Strom besonders hoch, bestimmt die Verstromung von Gas den Preis für alle Erzeuger und Verbraucher.Dieses Prinzip der Merit Order beschert in der Tat den Erneuerbaren und Atomkraftwerken hohe Gewinne, denn sie produzieren zu viel geringeren Kosten als die Gaswerke. Falsch ist indes der Eindruck, Merit Order sei eine Besonderheit des Strommarktes. In Wirklichkeit gilt dieses Prinzip auf allen Märkten oder zumindest auf allen Märkten für gleichförmige Güter (Erdöl, Kupfer, Bananen, Weizen). Dem Strom aus der Steckdose ist es egal, auf welche Weise er produziert wird. Wie im ersten Kapitel eines Lehrbuches für Ökonomie: Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis.
Machen wir es – mit Lion Hirth – am Beispiel der Landwirtschaft konkret. Nehmen wir zwei Bauernhöfe, die Weizen anbauen. Beim ersten von ihnen – traditionelle Produktion, kleine Felder, schlechte Böden, viel Handarbeit – entstehen Kosten von einem Euro je Kilo. Der andere nutzt große Maschinen auf riesigen Feldern in bester Lage: der hat lediglich Kosten von 50 Cent je Kilo. Beide produzieren die gleiche Qualität und die Nachfrage ist so groß, dass beide benötigt werden.
Was passiert nun? Der teure Bauernhof muss seinen Weizen mindestens für einen Euro verkaufen, andernfalls würde er Pleite gehen. Der günstigere wird ebenfalls für einen Euro verkaufen: Warum sollte er weniger nehmen, wo Kunden bereit sind, einen Euro zu zahlen? Es stellt sich ein einheitlicher Preis ein, weil die Güter die gleichen sind. Dieser Preis wird vom teuersten notwendigen Produzenten bestimmt – hier also dem traditionellen Bauernhof.
Planwirtschaft aus Brüssel
Nehmen wir nun an, Frau von der Leyen und ihre planwirtschaftliche Truppe wollte dem modernen Bauernhof seine »Übergewinne« verbieten und droht ihm an, diese »abzuschöpfen«, sollte er nicht bereit sein, seinen Weizen zu 50 Cent an die Bäckereien und Müsli-Kunden abzugeben. Das würde nicht funktionieren: Denn der moderne Bauer hätte nicht genügend Weizen für alle im Angebot. Schlau wie die Kunden sind, wären sie bereit, mehr zu bezahlen, um bevorzugt bedient zu werden. Sie würden sich mutmaßlich bis zum Preis von einem Euro hochschaukeln, dem sogenannten markträumenden Preis, zu dem dann auch der traditionelle Landwirt liefern würde, um die hohe Nachfrage zu bedienen.
Wie gesagt: Merit Order ist kein Spezifikum beim Strom, erst recht keine »Regel«, die von Politikern »reformiert« werden müsste – sondern die Beschreibung eines fundamentalen Prinzips, wie Preise sich auf einem freien Markt bilden. Und noch ein Missverständnis gilt es bei dieser Gelegenheit auszuräumen: Die »Marge« zwischen Preis und Produktionskosten ist nicht der Gewinn, den man einfach abschöpfen kann, sondern der »Deckungsbeitrag«, von dem die Investitionskosten der Kraftwerke bezahlt werden müssen.
Daraus folgt der Rat an Politiker: Hände weg vom Willküreingriff in Preise und Gewinne. Dieser ist durch nichts gerechtfertigt, auch nicht vom Krieg in der Ukraine und dem Preisdiktator Wladimir Putin. Wer den Preismechanismus nicht respektiert, riskiert das Ende der Marktwirtschaft. Am Ende gibt es weder ausreichend Strom noch ausreichend Weizenbrot. Denn das Angebot verbessert sich nicht durch eine wie auch immer geartete »Preispolitik«.
Rainer Hank