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  • 11. Dezember 2019
    Zigarren rauchen die Reichen

    Winston Churchill

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    Dieser Artikel in der FAZ

    Was man in »The Crown« so alles über die Klassengesellschaft lernt

    Am Ende der dritten Folge der neuen Staffel von »The Crown«, jenem wunderbaren Epos über Königin Elizabeth II, gibt es eine im Jahr 1966 spielende Szene, in welcher der damalige Premierminister Harold Wilson seiner Königin ein persönliches Bekenntnis macht. Wilson, Vorsitzender der Labour Party, erklärt der staunenden Königin, wie fremd er sich als Arbeiterführer fühle: Er, der Oxford-Absolvent, der nie mit eigenen Händen gearbeitet habe, gesteht, lieber Brandy als Bier zu trinken, Wildlachs Dosenlachs vorzuziehen, Chateaubriand mehr zu schätzen als Rindfleischpastete und, dann kommt es, lieber Zigarre als Pfeife zu rauchen.

    Dazu muss man wissen: Wilsons Markenzeichen war die Pfeife. Es ist schwer, Fotos zu finden, die ihn ohne Pfeife zeigen. Wilson rauchte im Kabinett und bei öffentlichen Auftritten. Wilson hatte seine Pfeife praktisch immer bei sich. Wenn er Interviews gab und ihm auf eine Frage spontan keine Antwort einfiel, holte er erst einmal ein Streichholz, um den Pfeifentabak neu anzuzünden und sich damit Nachdenkzeit zu erkaufen. Sein überraschendes Bekenntnis bei der Queen, für dessen Wahrheitsgehalt es historische Zeugen gibt, lautet nun: »Zigarren sind ein Symbol kapitalistischer Privilegien.« Und ein Arbeiterführer, der sich mit kapitalistischen Insignien schmückt, das geht nun einmal gar nicht. Mit der Pfeife, so Wilson, werde er »nahbar«, »liebenswert«, gemocht vom Volk. Das hat einen Preis: »Man kann sich nicht selbst treu bleiben und gleichwohl jedem gerecht werden.« Wilson zahlte diesen Preis, Pfeife rauchen und Brandy trinken erlaubte er sich nur privat, wenn keiner zusah.
    Heute, in Zeiten, in denen öffentliches Rauchen, weil verboten, quasi nicht mehr vorkommt, muss man sich erst wieder einmal in diese andere Zeit des 20. Jahrhunderts zurück versetzen, um ein Gespür für die qualmenden Requisiten einer Klassengesellschaft zu bekommen. Denn natürlich inszeniert sich Wilson als Gegenmodell zu einem der bekanntesten Zigarrenraucher der Weltgeschichte – zu Winston Churchill. Churchill, ein Konservativer, der aus einer der aristokratischsten Familien Großbritanniens stammte, wurde praktisch nie ohne Zigarre (Marke »Romeo y Julieta« oder »La Aroma de Cuba«) gesehen. Zigarre und Scotch begleiten ihn von den frühen Morgenstunden an: Auf zehn Zigarren brachte er es im Schnitt am Tag, rauchte praktisch ununterbrochen während der Arbeit, während der Mahlzeiten, während der Kabinettssitzungen. Einer seiner Butler notierte, Churchill vermöge es, in nur zwei Tagen den Gegenwert seines Wochenlohns zu Asche zu verwandeln. Churchill selbst war der Ansicht, das Zigarre-Rauchen tue seinen Nerven gut. In aufgeheizten Situationen ruhig und höflich zu bleiben, verdanke er »the goddess Nicotine«, seiner Göttin Nikotin. Churchill wurde 90 Jahre alt.

    »Manchmal ist eine Zigarre einfach nur eine Zigarre« (Sigmund Freud)

    Pfeife oder Zigarre – es sind jene feinen Distinktionsmerkmale von Klasse und Habitus, welche den Reiz der Zivilisation ausmachen. Der Arbeiterführer raucht Pfeife; der Großbürger und Aristokrat hingegen raucht Zigarre. Es ist kaum zu vermuten, dass Churchill lieber Pfeife geraucht hätte. Die gesellschaftlichen Aspirationen gehen von unten nach oben, nicht umgekehrt. Wie es zur sozialen Klassentrennung zwischen Pfeife und Zigarre kam, ist nicht mit Sicherheit auszumachen. Gewiss, Pfeifentabak ist billiger als Cochibas oder eine Davidoff, auch wenn man natürlich – wie mein Onkel Hugo in den fünfziger Jahren – seine »Villiger-Stumpen« schon für 30 Pfennig bekommen konnte. Der Pfeifenraucher wirkt eher väterlich. Der Konsument (»Aficionado«) teurer Zigarren inszeniert sich dagegen männlich potent, so dass selbst Sigmund Freud sich veranlasst sah zu beschwichtigen: »Manchmal ist eine Zigarre einfach nur eine Zigarre.«

    In Deutschland, keine Klassengesellschaft, sondern bekanntlich spätestens seit Ende des zweiten Weltkrieges eher eine »nivellierte Mittelschichtsgesellschaft«, ist die Sache nicht so eindeutig wie in England. Gewiss, Ludwig Erhard, passt ins Bild: Der Mann, dessen Zigarre emblematisch für das Wirtschaftswunder wurde, war ein Liberal-Konservativer. Der Wohlstand für alle war auch das Versprechen, jeder könne Zigarrenraucher werden. Norbert Blüm, ebenfalls ein Konservativer, raucht dagegen Pfeife, kokettiert freilich stets mit seiner IG Metall-Vergangenheit in Rüsselsheim und gab sich damit als christlich-sozialer Arbeiterführer. Der Zigarrenraucher beruhigt sich selbst, der Pfeifenraucher will auch die anderen beruhigen: Eure Rente ist sicher. Zwei besonders prominente linke Pfeifenraucher in Deutschland sind Herbert Wehner und Björn Engholm: der kommunistische Kämpfer auf der einen Seite und der Vorsitzende der Toskana-Fraktion auf der anderen. Harold Wilsons deutscher Gegenspieler aber ist zweifellos Gerhard Schröder. Was Wilson unterdrückte, traute sich SPD-Mann Schröder zu zeigen: Seine Cohiba (plus Brioni-Anzüge und reichlich teurer Rotwein) haben ihn zum »Genossen der Bosse« geadelt. Schröder zelebrierte als Bundeskanzler das gelungene Aufstiegsversprechen der Sozialdemokraten. Wenn ihr euch anstrengt, ihr vaterlosen Kriegskinder aus dem armen Arbeitermilieu, dann könnt ihr es dorthin schaffen, wo die Bürger und Aristokraten immer schon sind und mit ihnen teure Zigarren rauchen und Bordeaux trinken; Frauen scheinen ebenfalls wichtig zu sein. Schröder hat dafür viel Spott (»Klassenverrat«) und Misstrauen von der Linken in Kauf genommen; geschadet hat es ihm am Ende nicht. Der SPD schon.

    Norbert Walter-Borjans oder Saskia Esken können wir uns nicht als Raucher vorstellen

    Dass alles muss Lichtjahre her sein. Pfeifenraucher sind praktisch von der Bildfläche verschwunden. Zigarre kann man noch in feinen Lounges rauchen wie der legendären Times-Bar des Berliner Savoy-Hotels, wo Christian Lindner und Wolfgang Kubicki nach der versemmelten Wahl 2013 einander feierlich schworen, vier Jahres später abermals in den Bundestag einzuziehen. Aber eben: Allenfalls als FDP-Politiker kann man es sich noch leisten, im geschützten Raum einer Bar mit einer Davidoff gesichtet zu werden. Robert Habeck oder Saskia Esken müssten einpacken, würde man sie dort erspähen. In einer fünfstündigen Fernseh-Dokumentation der BBC über Harold Wilson, gedreht im Jahr 2013, hatte der Produzent die Direktive vorgegeben, möglichst zu vermeiden, den Labour-Führer mit Pfeife ins Bild zu setzen. Die Geschichtsfälschung nach Maßgabe der heutigen »political correctness« sollte als »Pipe-Gate« in die britische Parteiengeschichte eingehen.

    So ändern sich die Normen, wobei kein Zweifel besteht, dass, epidemiologisch gesehen, die Verbannung der Raucher aus der Öffentlichkeit der Volksgesundheit nützt. Aber soziologisch, oder sollen wir sagen »distinktionslogisch«, ist es eben doch ein Verlust. Es fehlen die Signale. Woran erkennen wir jetzt einen Arbeiterführer oder einen Aristokraten? Olaf Scholz könnte locker bei der Union durchgehen. Armin Laschet würde auch als SPD-Mann nicht sonderlich auffallen. Es ist nicht nur die Groko, die zur Nivellierung politischer Profile beiträgt. Es ist auch das Ende der Pfeifen- und Zigarren-Ära.

    Rainer Hank