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  • 12. August 2025
    Wohltemperiert

    Schön ist es nicht, aber es hilf Foto Skowalewski/pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum Klimaanlagen ein Segen für die Menschheit sind

    Den Sommer 1982 verbrachte ich in New York City, zum ersten Mal in meinem Leben in Amerika. Was jeder weiß, ich aber, aus Old Europe kommend, nicht wusste: Juli und August sind in Manhattan unerträglich heiß mit Temperaturen über 30 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit bis zu 80 Prozent. Cathy, die Freundin, bei der ich untergekommen war, hatte guten Rat: Bei solchen Temperaturen müsse man tagsüber ins Kino gehen. Alternativ kommen auch Shopping Malls in Betracht, oder die Kaufhäuser. Im luxuriösen Bergdorf Goodman an der 5th Avenue fühlte es sich besonders kühl an.

    Was wären wir ohne die Klimaanlage! So etwas zu behaupten, ist nicht ohne Risiko. Früher hieß es, die Dinger seien gesundheitsschädlich, weil sie den Menschen abrupte Temperaturschocks zumuten: draußen über 30 Grad, drinnen unter 20 Grad. Das halte kein Organismus aus, Erkältungskrankheiten seien noch das geringste Übel, mit dem zu rechnen sei. Als ein Kollege in den neunziger Jahren in Frankfurt sein Auto mit einer damals noch sehr teuren Klimaanlage ausrüsten ließ, haben wir ihn angestarrt, als wolle er in die Sahara auswandern.

    Heute gilt das Air Conditioning (AC) als wichtiger Treiber der Erderwärmung: Individuell kühlen wir uns ab, kollektiv wird es nur noch wärmer, weil die Abluft heiß nach draußen bläst. Vom CO2–Fußabdruck und den seit FCKW skeptisch beäugten Kühlmitteln ganz abgesehen.

    Singapurs Erfolgsgeheimnis

    Kein Wunder, dass Europa bis heute als Klimaanlagenmuffel gilt und das auch noch als Tugend vor sich herträgt. Während Wohn- und Bürogebäude hier zwischen 10 und maximal 30 Prozent klimatisiert sind, sind es in den USA 90 und in Singapur sogar 100 Prozent. Apropos Singapur: Der Gründungsvater des Stadtstaates nannte Airconditioning den entscheidenden Faktor für das dynamische Wachstum Singapurs (daneben nannte er die Toleranz einer multi-ethnischen und multi-religiösen Gesellschaft). Früher war die tropisch-sumpfige Gegend praktisch unbewohnbar.

    Lee ging noch weiter als er von der Klimaanlage als »Signalerfindung der Menschheit« sprach: Sie zieht beachtliche Produktivitätsfortschritte zur Folge. Nachweislich lässt die Arbeitsleistung der Menschen schon bei Temperaturen über 25 Grad nach. Das führte zur Erfindung der Siesta und der Notwendigkeit, entweder früh auszustehen oder spät zu arbeiten – oder beides.

    Die Differenz zwischen dem wohltemperierten Norden und dem heißen Süden hat viele Jahrhunderte zur weltweiten Ungleichheit der Nationen beigetragen: Hitze, so meinte Montesquieu im 18. Jahrhundert, mache den Körper schlaff und den Geist feig und träge, rege aber auch die Phantasie und die erotische Begierde an. Kälte dagegen mache straff, stark und kühn, gesetzestreu und phantasielos, aber auch relativ unempfindlich gegen sinnliche Reize. So lese ich es in einem schönen Essay der Kulturwissenschaftlerin Eva Horn über die »Zähmung des Klimas als Projekt der Moderne« in der Zeitschrift »Sinn und Form« 2015. Eine moderne ökonomische Weiterentwicklung von Montesquieus Klimatheorie findet sich bei Daron Acemoglu, einem Wirtschaftshistoriker und Ökonomienobelpreisträger: England als Kolonialmacht habe in gemäßigten Klimazonen (Nordamerika, Australien) Wert darauf gelegt, rechtsstaatliche und demokratische Institutionen zu implementieren (»inklusiv«), während afrikanische Kolonien gut dafür waren, ihre Rohstoffe auszubeuten (»extraktiv«). Die Wohlstandsdifferenzen zwischen heißen und kühlen ehemaligen Kolonialstaaten sind bis heute eindrucksvoll.

    Wenn man will, könnte man die Erfindung der Klimaanlage also als Instrument der Egalisierung zwischen Arm und Reich beschreiben. Inzwischen gibt es Forschungen, die zeigen, dass Klimaanlagen viele Leben retten. Den entsprechenden Aha-Effekt verdanke ich meiner Lieblingskolumne »Data Points« in der Financial Times. Es geht um das Phänomen der Hitzetodesfälle. Vergleicht man europäische und amerikanische Städte mit ähnlichen Durchschnittstemperaturen – also zum Beispiel Barcelona und Los Angeles oder London und Portland oder Rom und Sacramento -, dann zeigt sich, dass das Sterberisiko in Europa bei heißen Temperaturen um ein Vielfaches höher ist als in den USA. Zwischen 2000 und 2019 verloren durchschnittlich 83 000 Europäer jährlich hitzebedingt ihr Leben, verglichen mit 20 000 Nordamerikanern. Das zeigt: Der Mensch ist nicht für Temperaturen über 30 Grad geschaffen – es sei denn, er schläft mit einer Feuchtigkeit und Hitze dimmenden Klimaanlage.

    Hoffen auf die Ingenieure

    Europäische Moralisten oder auch Zyniker könnten dagegenhalten, dass die Kühlzurückhaltung des alten Kontinents eben der Preis sei, der zu entrichten sei, um die Klimaziele zu erreichen. In heißen Ländern kann der Anteil des Strombedarfs im Sommer auf über 50 Prozent des Spitzenstrombedarfs steigen. Das ist in der Tat nicht schön, klimapolitisch. Aber das muss auch nicht so bleiben: Wenn der Strom der AC-Anlagen aus erneuerbarer Energie (oder – horribile dictu – Atomstrom) gewonnen wird, dann ist selbst klimapolitisch nichts dagegen einzuwenden. Das Schöne daran ist, dass die Klimaanlagen besonders dann gebraucht werden, wenn die Sonne scheint und auch viel Solarenergie erzeugt wird.

    Zugleich behalte ich mein unerschütterliches Vertrauen in die Erfindungskunst der Ingenieure. Inzwischen ist von Wärmerückgewinnung die Rede als cleverem Energiesparprinzip. Wenn ich es mit meinem Laienverstand einigermaßen verstanden habe, soll verhindert werden, dass warme Innenluft nach draußen gepustet wird – wir sehen die unschönen Apparate an den Außenwänden Manhattans vor uns -, wobei viel Energie verloren geht. Das System der Wärmerückgewinnung entzieht der Luft die Wärme und verwendet sie wieder als Energie. Im Winter kann ein solches System sogar das Heizen unterstützen, im Sommer hilft es, weniger Strom zu verbrauchen, weil vorhandene Energie effizienter genutzt wird. Das mag auch der Grund sein, warum »Carrier«, Platzhirsch der AC-Industrie mit einer Marktkapitalisierung von 54 Milliarden Dollar, im Jahr 2023 das Heizungsunternehmen Viessmann übernommen hat.

    Klimaanlage und Heizofen verschmelze immer mehr zu einem System. Und alles werde »smart«, so wird uns versprochen: AC erkennt, ob ich im Raum bin, und kühlt auf meine Lieblingstemperatur runter. Verlasse ich den Raum, schaltet es automatisch ab. So etwas hatte uns gefehlt, als wir Mitte Juli eine Woche ein Haus in Südfrankreich gemietet hatten (draußen durchschnittlich 30 bis 35 Grad). Die leider noch nicht smarte Fernbedienung mit einer Vielzahl an Symbolen hat uns vollkommen überfordert. Die Gebrauchsanleitung – 236 Seiten – leider auch. Aber, wie gesagt, bald wird alles anders und smarter.

    Rainer Hank