Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen25. Juni 2025
Vom New Deal zum Real DealWarum Donald Trump eine hundertjährige liberale Ära zerschlägt
Im März 2025 erhält die amerikanische Schriftstellerin Lionel Shriver, international bekannt geworden durch ihren 2005 erschienenen Roman »We need to talk about Kevin«, von Donald Trump eine Einladung ins Weiße Haus. Shriver gilt nicht als Trumpistin, hat sich aber zuletzt eher libertär-konservativ positioniert, kritisch gegenüber »politischer Korrektheit« und linksliberaler Orthodoxie.
Im Anschluss an das Gespräch zeigte Shriver sich vom Präsidenten tief beeindruckt. Diese »Mischung von Schlauheit, Verwöhntheit, Gefallslustigkeit und ehrlichem Glauben« könne man die Bewunderung nicht versagen: »Etwas wie Segen ist auf ihm«, gab sie zu Protokoll. Sie sei Trump sehr zugetan »als dem wir mir scheint geborenen Gegenspieler gegen das, was fallen muss«. Inzwischen machen Gerüchte die Runde, der Held von Shrivers bald erscheinendem Roman – es ist ihr siebzehnter – trage Züge des amerikanischen Präsidenten: »ein Staats-Geschäftsmann von reichlicher Durchtriebenheit«.
Die Hälfte dieser Geschichte ist Fake, von mir frei erfunden. Aber eben nur die Hälfte. Die Zitate sind echt. Doch sie stammen nicht von Lionel Shriver, sondern von Thomas Mann. Nach einem Besuch im Weißen Haus im Januar 1941 zeigte der deutsche Exilant sich schwer beeindruckt von US-Präsident Franklin D. Roosevelt und dessen Projekt des »New Deal« – so sehr angetan, dass er in seinem Roman »Joseph der Ernährer« seinem Helden absichtlich und unverkennbar Züge des Präsidenten verlieh: »ein Staats-Geschäftsmann von reichlicher Durchtriebenheit«. Thomas Mann fand Gefallen an der autoritativen Durchsetzungskraft des amerikanischen Präsidenten; er entsprach seinem Ideal einer »Demokratie von oben«, das er an Roosevelt bewunderte als Gegenmodell zur Hitler-Diktatur.
Trump ist angetreten, die bald hundert Jahre alte liberale Demokratie der USA zu beenden, die mit Roosevelts Amtsantritt am 4. März 1933 ihren Anfang nahm: Mit einem Big Bang in den ersten hundert Tagen ging es damals los. Mit einem Big Bang soll es jetzt zu Ende gehen.
Industriepolitik a la Rooselvelt
Angesichts enttäuschenden Wirtschaftswachstums und steigender Bedrohung Amerikas durch die Globalisierung müsse der Staat das Heft des Handelns an sich ziehen, davon zeigte sich Roosevelt überzeugt. Der Staat solle nicht nur fiskal- und geldpolitisch stärker lenken, sondern mit direkten Markt-Interventionen dafür sorgen, dass die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich nicht noch größer werde.
Roosevelt forderte die amerikanische Industrie auf, anstatt nur für sich selbst zu wirtschaften, um der gemeinsamen Sache willen zusammenzuarbeiten. »Sie müssen ihren privaten Vorteil opfern und in wechselseitiger Selbstverleugnung den allgemeinen Vorteil suchen«, hatte er in einer Wahlkampfrede am 23. September 1932 in San Francisco angekündigt (ähnliche Sätze finden sich heute auch von J.D. Vance). Das Programm des berühmten »New Deal« war ein gigantisches Projekt gelenkter Industriepolitik: Staatliche Aufsichtsorgane – die National Recovery Administration NRA und die Börsenaufsicht SEC – sollten dafür sorgen, Angebot und Nachfrage auszutarieren. Staatliche Investitions- und Arbeitsbeschaffungsprogramme sollten direkt und indirekt Beschäftigung für Amerika schaffen. Die NRA hatten den Auftrag, Arbeitnehmer, Wirtschaft und Regierung zu einer »großen Partnerschaft« zu vereinen. Staatliche Wohnungspolitik (Eigenheimförderung) und die Einführung eines Sozialversicherungssystems (»Social Security Act«) traten hinzu. Die USA wandelten sich seit den vierziger Jahren zu einem modernen Wohlfahrtsstaat; »liberal« bedeutete fortan »linksliberal«. Wer sich abgrenzen will, nennt sich »libertarian«.
Man kann Roosevelts »New Deal« ein MAGA-Projekt nennen: »Make Amerika great again«. Der Präsident war davon überzeugt, dass diese Ziele nur in kreativer Zerstörung und großer Geschwindigkeit zu erreichen sein würden (»we must act and act quickly«) und dass ein Großkonflikt mit den alten Eliten unausweichlich würde. Ob Roosevelts Politik ihre Ziele erreicht hat, darüber ist die Forschung uneins. Viele Historiker vertreten die Auffassung, dass für Amerika nicht der »New Deal« die Rettung aus der Weltwirtschaftskrise brachte, sondern das gigantische Nachfrageprogramm, das der Zweite Weltkrieg für Amerika bedeutete.
Donald Trump teilt die Skepsis gegen freie Märkte und die Globalisierung mit seinem berühmten Vorgänger Franklin D. Roosevelt. Wie dieser schwört er auf die Methode des Crash-Kurses der ersten hundert Tage: we must act and act quickly. Im Übrigen ist Trump aber davon überzeugt, dass die linksliberale Revolution des New Deal Amerika ins Unglück gestürzt habe. Statt »New Deal« brauche es einen »Real Deal«, wie Trumps Ideengeber Paul Dans von der einflussreichen Heritage Foundation es formulierte: Jegliche Erneuerung habe eine Zerstörung zur Voraussetzung. Das »progressive Zeitalter« des Linksliberalismus müsse beendet werden; was jetzt folgt sei das »Goldene Zeitalter des Populismus«.
Der Staat als Leviathan
Trump-Ideengeber Dans, von dem Trump sich inzwischen distanziert, obwohl er seine Anweisungen kopiert, sieht vor allem zwei Verfallserscheinungen des heutigen Amerika: Ein überbordender und hoch verschuldeter Staat, der im Jahr 2025 sieben Billionen Dollar verschlingt, dessen Schuldendienst höher ist als die Ausgaben für Verteidigung. Zugleich habe sich der klassischen Gewaltenteilung – Exekutive, Legislative, Judikative – eine weitere Gewalt zugesellt – die »Administrative« – ein bürokratisches Monster mit einem teuren, aber ineffizientem Eigenleben. Das ist jener »deep state«, den Trump mit Hilfe seines Adlatus Elon Musk zu zerschlagen angetreten ist. Die Bürokratie diene nicht den Bürgern, sondern nur noch sich selbst, so die vernichtende Kritik.
Bis zu diesem Punkt wird man Sympathien für Trumps Projekt aufbringen können. Der Staat als Treiber einer intervenierenden Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich inzwischen in vielen Ländern zu einem Leviathan aufgebläht, einem nicht mehr bezähmbaren Ungeheuer. Es ist der Wechsel vom Aufstieg und Niedergang der Nationen, wie ihn der Ökonom Mancur Olson beschrieben hat.
Zu kritisieren ist weniger das Programm radikaler Staatsschrumpfung, das sich Musks Behörde für Regierungseffizient (DOGE) zur Aufgabe gemacht hat. Zu kritisieren ist die Unprofessionalität ihrer Durchführung, die ideologische Aufladung der Einzelreformen und das im Vergleich mit den vollmundigen Ankündigungen mickrige Einsparergebnis – wie ich den luziden Berichten meines Kollegen Winand von Petersdorff aus Washington entnehme. Merke: Auch kreative Zerstörung will gelernt sein. Sonst wird Gutes geschreddert und Schlechtes erhalten.
Rainer Hank