Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen29. März 2025
Streicht das ElterngeldDer Sozialstaat ist nur gut, wenn er effizient ist
Wie kommt es bloß, dass mir in diesen Tagen immer wieder Vorschläge von Ökonomen in den Sinn kommen, bei Wahlen der Volksvertreter (auch) das Los entscheiden zu lassen. Auf diese Weise könne korrigiert werden, dass Politiker vor der Wahl Versprechungen machen, die sie hinterher wieder kassieren – und die Falschen an die Macht kommen. Sowohl im alten Athen wie auch in Venedig bei der Wahl der Dogen hat man mit dem Zufallsentscheid als demokratischem Prinzip gute Erfahrungen gemacht.
Okay, das wird sich jetzt nicht so schnell ändern lassen. Dass aber seit dem 23. Februar die Grünen für eine disziplinierte Haushaltspolitik kämpfen und damit fast wörtlich so argumentieren, wie die Union vor der Wahl, ist schon gewöhnungsbedürftig. Hätten die Bürger das geahnt, das Ergebnis für die Grünen wäre signifikant anders ausgefallen. An der Macht hätten freilich auch die Grünen das Füllhorn in die Hand genommen, während die Union in der Opposition so getönt hätte wie vor der Wahl.
Egal ist es nicht, womit man anfängt bei der Reform des Staates: Ausgabenorgien oder harte Einschränkungen. Wer als Erstes 500 Milliarden Euro für Infrastruktur locker macht, hat sich damit eine Lizenz erteilt, den Sozialstaat weiter auszubauen, anstatt ihn effizienter zu gestalten. Merz I (vor der Wahl) hatte versprochen, erst zu reformieren, Einsparpotentiale zu identifizieren und erst danach – wenn nötig – Schulden zu erhöhen. Merz II (nach der Wahl) macht es exakt umgekehrt – mit dem Verweis auf das Erpressungspotential der SPD und mit dem sturen Ziel, auf alle Fälle Kanzler zu werden – whatever it takes. »Zeitenwende« wird übersetzt als Erlaubnis, fiskalpolitisch in die Vollen zu gehen. »Zeitenwende« soll keinem Bürger etwas abverlangen. Wehtun ist verboten.
Kriterium für Einsparungen müsste sein: Wie zielführend und wie effizient ist die derzeitige Regelung? Effizienz vor Geld. Ich hätte da einen besonders unbeliebten Reformvorschlag: Schafft das Elterngeld ab! Die Idee kam vor ein paar Wochen vom Ifo-Chef Clemens Fuest, der das Elterngeld als »nice to have« bezeichnete, will sagen: kann wegfallen. Nachdem die Empörung überkochte, hat Fuest seinen Vorschlag nicht mehr oder nur noch schmallippig wiederholt – und sich merkwürdigerweise für die 500 Milliarden Infrastrukturschulden ausgesprochen, obwohl er die gar nicht gut findet.
Nice to have
Das Elterngeld ist nice to have. Mehr nicht. Es ist unverhältnismäßig teuer, erreicht die selbstgesetzten Ziele nicht, oder nur sehr unzureichend und privilegiert die Besserverdiener.
Elterngeld gibt es seit 2007. Es ist eine Hinterlassenschaft von Ausgabenweltmeisterin Ursula von der Leyen, die einmal als Bundesfamilienministerin angefangen hat. Der Staat zahlt Müttern und Vätern zwischen 65 und 67 Prozent des Nettoeinkommens, mindestens 300 höchstens 1800 Euro für längstens 14 Monate. Das sind im besten Fall 25.200 Euro für die reicheren Familien – und summiert sich auf inzwischen acht Milliarden Euro jährlich im Bundeshaushalt (vor drei Jahren waren es noch sechs Milliarden). Das ist mit Abstand der größte Posten im Familienhaushalt, der sich insgesamt auf 12 Milliarden Euro beläuft.
Für so viel Geld müsste die Gesellschaft eigentlich viel rausbekommen. Doch gefehlt. Völlig versagt die Leistung beim Ziel, die Geburtenrate zu erhöhen. Die lag 2007 bei 1,37 stieg dann tatsächlich bis auf 1,59 im Jahr 2017, ist aber inzwischen auf 1,35 zurückgefallen – somit 27 Jahre nach Einführung des Elterngelds »schlechter« als am Anfang. Über die Gründe der enttäuschenden Fertilität praktisch überall auf der Welt gibt es haufenweise Studien. Eines steht fest: Staatsgeld zeugt keine Kinder.
Wenn das Elterngeld schon keine zusätzlichen Kinder gebracht hat, hat es dann zumindest mehr Frauen in Arbeit gebracht? Da ist das Ergebnis durchwachsen. 2003 lag der Anteil der Frauen an allen Erwerbstätigen bei 44,9 Prozent, inzwischen sind es 46,5 Prozent. Den größten Sprung machten allerdings Frauen zwischen 55 und 64 Jahren. Und es bleibt dabei: Frauen arbeiten mit oder ohne Elterngeld immer noch sehr häufig Teilzeit. Der Anteil der Vollzeitbeschäftigten hat sich seit es Elterngeld gibt gerade einmal um 0,3 Prozent verbessert. Nun kann man auch geringe Beschäftigungsverbesserungen dem Elterngeld zugute schreiben. Doch gäbe es haushaltsschonender viel effizientere Wege,
dass mehr Frauen sich entscheiden zu arbeiten: Zum Beispiel die Abschaffung des Ehegattensplittings. Wetten wir, das Schwarz-Rot das Thema schweigend meidet?Dass das Elterngeld trotz fehlender »kausaler Evidenz« (Lars Feld) außerordentlich beliebt ist, wundert nicht, wird es doch inzwischen vielfach als eine Art staatliches Grundgehalt für geleistete Care-Arbeit angesehen. Eine Art Lohn für gut ausgebildete Mütter und Väter, die bereit sind, ihren Beitrag zur Steigerung gesellschaftlicher Produktivität zu leisten. Lässt man sich auf diese Logik ein, muss man zwingend für eine Erhöhung der Leistungen optieren. 1800 Euro auf 18 Stunden Kinderbetreuung an 30 Tagen gibt einen Stundenlohn von 3 Euro 33. »Viel zu wenig«, tönt es aus der von Jutta Allmendinger angeführten IG Väter und Mütter. Das zeigt: Die Einführung und Verstetigung neuer familienpolitischer Leistungen führt einen Kulturwandel herbei, der die Staatsbedürftigkeit von Besserverdienern als völlig natürlich und legitim erachtet.
Vom Aufstieg und Niedergang der Nationen
Wenn – leider Gottes – die Verteidigungsausgaben dauerhaft dramatisch erhöht werden müssen und wenn zugleich ein bleibend großer Bedarf an Investitionen in die Infrastruktur gegeben ist, führt kein Weg an sozial- und familienpolitischen Einschränkungen vorbei, um den Weg in den Pleitestaat zu stoppen. Das Reizthema Elterngeld ist nur ein Beispiel. Ich habe in einer vorigen Kolumne in Anlehnung an Vorschläge des Sachverständigenrats dafür plädiert, die Renten von der Lohnentwicklung zu entkoppeln und lediglich die Inflation auszugleichen. Das ergäbe in allen Jahren mit Reallohnverbesserungen deutliche Einsparmöglichkeiten bei den Staatszuschüssen zur Rentenkasse. Es gibt erst recht angesichts demographischer Kalamitäten kein gutes Argument dafür, den sich in Lohnerhöhungen spiegelnden Produktivitätsfortschritt an die nicht mehr Arbeitenden umzuverteilen – wohl wissend, dass dies eine Rücknahme der Dynamisierung der Renten wäre, dem Wirtschaftswunderstolz der Adenauerjahre.
Politiker aller Parteien versprechen vor der Wahl mit markigen Worten deutliche Reformen. Dass die Versprechen eingelöst werden, verhindern die Lobbys der Rentner- und der Elterngewerkschaften. Den Rest der Blockade übernehmen der vielen anderen Subventionsempfänger. »Vom Aufstieg und Niedergang der Nationen« heißt ein 1982 erschienenes Buch des Ökonomen Mancur Olson. Darin steht, wie es weitergeht.
Rainer Hank