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‹ alle Artikel anzeigen02. August 2025
Mordversuch im KapitalistenmilieuEin Versuch über Macht, Monopole und Moral
Marinus van Reymerswalde (1490 bis 1545) war ein flämischer Maler. Ich bin ihm vergangene Woche in Antwerpen im Wohnhaus von Nikolaus Rockox begegnet, einem reichen Bürger der Stadt, der der Nachwelt ein Museum mit beeindruckender Kunstsammlung vermacht hat. Reymerswaldes Gemälde »Der Geldgeber« greift ein damals populäres Thema auf: Geldwechsler, Geldverleiher und Steuereintreiber hatten keinen guten Ruf. Nie war man sicher, ob sie einem den richtigen Wechselkurs berechneten. Eher konnte man sicher sein, dass sie dem Schuldner Wucherzinsen abzupressen suchten. Der Geldgeber in Reymerswaldes Gemälde zieht bedrohlich wirkende Grimassen. Sein Geschäftsraum sieht nicht gerade ordentlich aus. Der Betrachter soll gewarnt sein: Der Mann wird uns aus Habgier übers Ohr hauen.
Antwerpen im 16. Jahrhundert ist eine Wiege des Kapitalismus. Die Forschung nennt diese Periode die »glorreichen Jahren« der Stadt, deren Bedeutung man sich ungefähr so vorstellen muss, wie heute die Rolle von London, New York, Hongkong oder Shanghai. Antwerpen war das Zentrum einer globalisierten Welt, wo sich die Händler aus aller Herren Länder trafen und ihre Waren (edle Gewürze, wichtige Rohstoffe, Textilien, Edelmetalle, Wein) tauschten. Bei van Remyerswalde kann man sehen: Neben dem Handelskapitalismus wurde der Finanzkapitalismus (Wechselbriefe und Kredite) immer wichtiger. Und Reymerswaldes zeitgenössisches Gemälde zeigt auch: Kapitalismus und Kapitalismuskritik gehen immer schon Hand in Hand, sind gleichzeitige und nicht konsekutive Phänomene.
Dazu eine kleine Geschichte: Am 22. Januar 1545 begab sich Gilbert van Schoonbeke zur neuen Börse von Antwerpen. Diese gab es erst seit 1531, nachdem die alte zu klein und zu wenig repräsentativ geworden war: Eine (auch heute noch zu besichtigende) architektonisch bemerkenswerte spätgotische Halle mit Säulenumgängen und einem Turm, von dem aus man ein- und ausfahrende Schiffe beobachten konnte. Hier trafen sich Händler, Bankiers, Wechsler und Reeder aus ganz Europa. So eben auch van Schoonbeke, ein flämischer Unternehmer und Stadtentwickler, der maßgeblich an der Modernisierung Antwerpens beteiligt war.
Bloß eine Ohrfeige?
Es wurde schon dunkel, als van Schoonbeke die Börse verließ. Kurz hinter deren Tor lauerten ihm zwei finstere Gestalten auf, die dem Mann mit einem Schwert den Schädel spalten wollten. Schoonbekes Diener eilte zu Hilfe, ohne die Gefahr abzuwenden. Letztlich, so erzählt man, habe Schoonbeke sein fester Hut gerettet und den Schlag der Waffe abgefedert.
Eine Affäre im Kriminellenmilieu? Mitnichten. Eher im Kapitalistenmilieu. Schoonbeke witterte hinter den Angreifern einen alten Rivalen, den aus Pistoia stammenden Kaufmann, Intriganten und Finanzspekulanten Gaspar Ducci (1492 bis 1577). Dieser, so wird berichtet, habe die beiden Schergen angewiesen, sich Schoonbeke vorzuknöpfen: »Macht ihn fertig«. Auslöser des Konflikts war offenbar van Schoonbekes Weigerung, Ducci beim Wiegen seiner Alaun-Ladungen steuerliche Ausnahmen zu gewähren. Ducci reagierte gekränkt, schwor Rache und setzte das Gerücht in die Welt, er habe eine Affäre mit Schoonbekes Frau.
Überraschenderweise hatte der Mordanschlag keine rechtlichen Folgen. Ducci und seine Komplizen erschienen nicht vor dem Antwerpener Gericht, sondern suchten Schutz bei Maria von Ungarn, der Statthalterin der spanischen Niederlande. Diese übertrug den Fall an den Rat von Brabant, wo Ducci angab, er habe Schoonbeke lediglich eine »Ohrfeige« verpassen wollen. Das Verfahren wurde eingestellt. Ducci warnte Schoonbeke in mafiöser Manier, seine Männer seien weiterhin in der Stadt unterwegs.
Alaun, muss man nachschlagen, ist ein Kalium-Aluminium-Salz, das unter anderem als Beizmittel in der Textilindustrie begehrt war und ein Machtmittel im Handel bedeutete. Ducci hatte vom spanischen Kaiser Karl V. das Monopol auf Alaun erhalten. Zudem betätigte Ducci sich in allerlei Finanzgeschäften. Den ersten Reibach seiner Karriere hatte er mit Spekulationen auf den Wechselkurs zwischen Silber und Gold gemacht, was diverse Kollegen in den Ruin getrieben hatte. Auch hier hatte Maria von Ungarn ihm den Rücken gestärkt. Denn Ducci hatte erfolgreich für die Regentin Steuern eingetrieben. Dem Kaiser und dem französischen und englischen König verschaffte er ebenfalls Geldmittel. Im Gegenzug erhielt er nicht nur das Monopol auf Alaun, sondern auch die Erlaubnis, Pastellfarben und Wein auch dann aus Frankreich zu importieren, wenn der Kaiser gerade Krieg gegen das Land führte. Der Forscher Hugo Soly, der 2022 eine Monografie über Schoonbeke und Ducci veröffentlicht hat, bescheinigte letzterem die Gabe »kreativen Bankings«, ein Begriff, der unter anderem in der Finanzkrise 2008 wieder zu Ehren kam.
Frühkapitalismus als Monopolkapitalismus
Die kriminelle Schmonzette des Jahres 1545 sagt viel aus über die Welt der frühen Neuzeit. Erstens: Es waren Kaufleute und Finanzjongleure, Leute wie van Schoonebek und Gaspar Gucci, die Antwerpen und die europäischen Königshäuser reich gemacht haben. Zweitens und ökonomisch verstörend: Der Frühkapitalismus des 16. Jahrhunderts war ein Monopolkapitalismus von Gnaden politischer Macht und kein freier Markt. Monopole sind eine Art Brandmauern gegen den Wettbewerb, die die wirtschaftlichen Akteure vor den Konkurrenten schützen. Wer hier Erfolg haben will, muss mit den Mächtigen paktieren, Netzwerke und Informationsvorsprünge zu nutzen wissen.
Cum grano salis könnte man sagen, Donald Trumps Spätkapitalismus habe sich am flämischen Frühkapitalismus des 16. Jahrhunderts ein Vorbild genommen: Wer sich dem Präsidenten unterwirft, ihn gar mit viel Geld versorgt (Elon Musk), wird mit Privilegien, Export- oder Importerlaubnissen und Monopolstellungen im US-Reich belohnt. Deals zwischen politisch und wirtschaftlich Mächtigen sind damals wie heute an der Tagesordnung.
Monopolisten können überhöhte Preise setzen; denn diese werden nicht vom Wettbewerb begrenzt oder bestritten. Die Macht der Monopolisten wurde von den Herrschenden gestützt, deren Staaten und deren Luxus zu finanzieren die Monopolisten im Gegenzug die Pflicht und das Privileg hatten, wofür sie fürstlich entlohnt wurden. Das kritisierten Zeitgenossen wie Marinus von Reymerswalde als willkürlich und ungerecht, brandmarkten es als Todsünde der Habgier mit entsprechender Androhung von Höllenstrafen.
Der Antikapitalismus des 16. Jahrhunderts kritisierte den Monopolkapitalismus moralisch und nicht ökonomisch. Die ökonomische Kritik der Verknüpfung von politischer Macht und wirtschaftlichen Monopolen kam erst zwei Jahrhunderte später von Aufklärern wie Adam Smith und David Hume. Der Freihandel ist in seiner Wirkung dem Moralisieren überlegen. Er hatte es damals so schwer wie heute.Rainer Hank