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  • 31. Juli 2025
    Gesichert linksextrem

    Heidi Reichinnek Foto Die Linke

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wäre die Abschaffung des Kapitalismus verfassungsfeindlich?

    Diese Woche will ich mich als inoffizieller Mitarbeiter dem deutschen Verfassungsschutz andienen und ergründen, ob man die Partei »Die Linke« als »gesichert linksextrem« bezeichnen kann.

    Beginnen wir mit dem Rapper Mc Smook. Von dem gibt es einen Freestyle-Song mit dem Titel »Heidi Reichinnek«. Dort finden sich folgende Zeilen: »Gib’s den Armen, nimm’s den Reichen weg – wenn ich denke, will ich denken wie Heidi Reichinnek – yes, ich argumentiere die ganze rechte Scheiße weg.« Zur Erinnerung: Heidi Reichinnek ist ein Jungstar der Partei und inzwischen Fraktionsvorsitzende, die maßgeblich die Rückkehr der Linken in den Bundestag mit 8,5 Prozent verantwortet. Der Rap wurde beim letzten Bundesparteitag der Linken zu einer Art Parteihymne, quasi neben der alten Internationale (»Völker hört die Signale«). Reichinnek präsentiert ihr Parteiprogramm gerne als Rap auf TikTok & Co. Es sind solche Sachen, die nach Ansicht der Parteienforscher den überraschenden Erfolg bei den jungen Leuten begründen.

    Wäre ich nicht IM des Verfassungsschutzes, sondern Seminarleiter an der Uni würde ich dem Song des Rappers einige poetische Qualitäten hinsichtlich Rhythmus und Reim abgewinnen: Das Schema »Reichen weg«/«Reichinnek«/«Scheiße weg« hat schon was, wie es überhaupt nicht ohne Witz ist, dass eine Politikerin, die die Armen befreien will, die Reichen in ihrem Namen trägt.

    Doch als IM muss ich auf die Inhalte achten. Und da besteht kein Zweifel, dass Reichinnek es ernst meint. Klassenkampf müsse wieder auf die Tagesordnung. Die Marktwirtschaft ist aus ihrer Sicht eine Bedrohung der Demokratie. In einem Interview mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung« sagte Reichinnek: »In den heutigen Zeiten muss man radikal sein. Der Sozialstaat wird immer weiter ausgehöhlt, der Reichtum von wenigen explodiert. Auch dadurch ist die Demokratie ernsthaft bedroht. Wer das verhindern will, der darf den Kapitalismus nicht stützen, er muss ihn stürzen.«

    Demokratischer Sozialismus?

    Das Ziel sei ein »demokratischer Sozialismus«, so Reichinnek. Wie der aussieht, lässt sie offen. Ex negativo wird einiges zwingend sein: Enteignung der Reichen, Abschaffung des Privateigentums, staatliche Planung statt marktlicher Steuerung von Angebot und Nachfrage. Reichinnek sagt, sie wolle nicht zurück zur DDR, aber wohin sie dann will – Korea, Venezuela, Kuba, Albanien – ist offenbar noch nicht entschieden. China würde es gewiss nicht werden, das wäre ihr mit Sicherheit zu kapitalistisch. Eher Russland. Oder wahrscheinlich ein ganz neuer Sozialismus, den es bislang in der Geschichte noch nicht gab. So haben noch immer alle kommunistischen Revolutionäre das Festhalten an der Idee des Sozialismus trotz seines historischen Versagens begründet. Insofern kann Reichinnek sich in eine lange antikapitalistische Tradition stellen von Karl Marx über Rosa Luxemburg bis Thomas Piketty. Ideenhistorisch interessierten Lesern empfehle ich dazu das neue Buch von John Cassidy: »Capitalism and its Critics« (Farrar, Straus and Giroux).
    Nun kann ich den IM-Bericht an meinen Führungsoffizier beim BND abschicken. Ich brauche keine tausend Seiten wie meine Kollegen für ihren Bericht über die AfD. Aufgrund meines Materials habe ich keinen Zweifel, dass man die Linke als »gesichert linksextrem« bezeichnen kann. Sie will unsere Eigentumsordnung abschaffen und den Kapitalismus »stürzen«. Umsturz als revolutionäres Programm ist der Aufruf zu einer anderen Gesellschaftsordnung. Unser Wohlstand und unsere freiheitliche Ordnung verdanken sich maßgeblich unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Ihre Abschaffung ist ein Programm der gesellschaftlichen Verarmung.

    Ich muss davon ausgehen, dass die Linke ihr Umsturzprogramm ernst meint. Jedenfalls habe ich keine Hinweise, dass die Programmatik lediglich metaphorisch gemeint ist oder getragen von der Annahme, nichts werde so heiß gegessen wie gekocht. Antikapitalismus ist hierzulande intellektuell seit langem salonfähig, Rechtsextremismus ist es nicht.
    So weit so klar. Die Linke verfolgt linksextreme Ziele, nicht nur im Teilen, sondern an der Spitze der Partei. Weniger klar ist, ob ein solcher Systemwechsel gegen die Verfassung verstieße, jedenfalls solange er mit parlamentarischen Verfahren einher ginge, sagen wir einer absoluten Mehrheit für die Linke im Bundestag oder einer Mehrheitskoalition aus Linke und SPD. Das deutsche Grundgesetz verpflichtet den Staat nicht eindeutig auf eine kapitalistische Wirtschaftsordnung. Das liegt daran, dass man in den späten vierziger Jahren bis weit in Kreise der Union mit einem demokratischen Sozialismus liebäugelte, etwa in dem berühmten Ahlener Programm der CDU. Der quasi sozialistische Passus »Eigentum verpflichtet« (Artikel 14, Abs. 2) erinnert an diese Offenheit. Das Bundesverfassungsgericht hat noch in den fünfziger Jahren von einer »wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes« gesprochen. Andererseits gibt es eine Reihe von Verfassungsartikeln, die auf eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung mit Privateigentum und privater Handlungsfreiheit hindeuten. Ganz explizit wird die »Soziale Marktwirtschaft« im Artikel 3 des Vertrags von Lissabon garantiert, den die EU-Staaten im Jahr 2009 geschlossen haben.

    Parteiverbote taugen nichts

    Sollte man aus Angst vor einer demokratischen Reichinnek-Revolution das Grundgesetz vereindeutigen und die Verpflichtung zu Kapitalismus, Marktwirtschaft, Privateigentum und Vertragsfreiheit dort verankern – also implizit auch das Recht, steinreich werden zu dürfen ohne Angst vor Enteignung? Dann hätte man eine Handhabe für einen Verbotsantrag der Partei »Die Linke«. Das wäre nur konsequent und analog zu vielen derzeitigen Bestrebungen, die »liberale Demokratie« vor der »elektoralen Demokratie« zu schützen. Nennen wir dies die Strategie des brandmauerns, die sich aus der Angst vor den Wählern speist: der Angst vor der unvernünftigen Plebs.

    Davon würde ich abraten. Sollten die Deutschen mit Mehrheit beschließen, den Kapitalismus abzuschaffen, wäre das eine Dummheit sondergleichen, für die das Volk den Preis seiner Verelendung zahlen müsste. Demokraten sind darin frei, mit Mehrheiten dummes Zeug zu beschließen. Das kann und sollte ihnen ihre Verfassung nicht verbieten. Die zunehmende liberale Einhegung der Mehrheitsdemokratie, stets und ausschließlich gut gemeint aber demokratisch problematisch, vermag ihr Ziel nicht wirklich zu erreichen, hat, ganz im Gegenteil, zu einem Erstarken des Populismus (nach rechts wie nach links) geführt. Darauf hat der Siegener Politikwissenschaftler Philip Manow jüngst hingewiesen. Demokraten müssen sich schon die Mühe machen, zu argumentieren und im Diskurs mit den Andersdenkenden für Freiheit, Kapitalismus und Marktwirtschaft zu kämpfen. Schaffen sie das nicht, würde auch das Grundgesetz sie nicht schützen.

    Rainer Hank