Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen19. Juni 2024
Die Boomer sind geizigWarum mangelt es den Alten an Lebensfreude?
Wir Boomer sind die reichste Generation, die es in der Geschichte je gegeben hat. Wir hatten im Leben ziemlich viel Glück. Bildungsaufsteiger, die wir sind, haben wir die Chance genutzt, – mit BAföG und Stipendien – zu studieren. Der Lohn der Mühe war nicht nur lebenslag ein guter Beruf, eine ordentliche Karriere und ein gutes Einkommen, sondern auch ein Gewinn an Freude und Freiheit, um vorgegebene Bahnen des Lebens zu verlassen. Wir Boomer sind seit langem die erste Generation, die ohne die persönliche Erfahrung von Krieg, Vertreibung und Hunger alt werden darf. Mein Großvater kam als Krüppel aus dem ersten Weltkrieg zurück; mein Vater kam mit schweren Blessuren aus russischer Gefangenschaft nachhause.
Es gibt keine amtliche Definition, wer sich Boomer nennen darf. Weltweit sollen es 270 Millionen sein. Wir kamen nach dem Zweiten Weltkrieg auf die Welt. Wir sind so lange immer mehr geworden, bis sich nach dem Pillenknick der Trend umkehrte. Das war 1964. Seither gehen die Geburtenraten in allen Industrieländern zurück, je länger, je dramatischer. Es fehlen Ideen, wie sich das ändern ließe. Aber das ist ein anderes Thema.
Heute frage ich mich, warum wir unseres Glücks nicht richtig froh werden. Und warum wir unseren Erfolg nicht angemessen genießen. Sollte man nicht annehmen, dass die Boomer jetzt damit beginnen, ihr Vermögen zu verzehren, das sie durch Arbeit und Leistung – also verdient – aufgehäuft haben? In den USA, so lese ich im »Economist«, machen die Boomer 20 Prozent der Bevölkerung aus, vereinen aber 52 Prozent des Vermögens auf sich, ein Reichtum, der sich auf 76 Billionen Dollar summiert. Doch was sagen uns die Zahlen? Wir sind eine Kohorte der Geizhälse; knausrig halten wir unser Geld zurück. Wiewohl statistisch absehbar ist, dass unsere Restlaufzeit mehr oder weniger kurz ist, um es salopp zu formulieren.
Kreuzfahrtaktien schwächeln
Der Verdacht, dass die Alten irrational leben, kam mir beim Blick auf mein Aktiendepot. Weitsichtig kam ich mir vor, als ich mir schon während Corona ein paar Aktien von Kreuzfahrtschiffen zulegte. Meine Prognose: Wenn der Lockdown vorbei ist, werden die Senioren die Aidas dieser Welt besetzen, um von Costa Rica bis auf die Fidschi-Inseln ihr Erspartes zu verjubeln. Kreuzzufahren ist die ideale Konsumweise älterer Menschen. Das Geheimnis des Geschäftsmodells hat der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog einmal so beschrieben: Er besuche viele Länder und Städte, müsse seinen Koffer aber nur einmal auspacken, weil er sein komfortables Hotel die ganze Zeit bei sich habe. Doch was soll ich sagen: Zwar steigen die Passagierzahlen auf den Kreuzfahrtschiffen wieder deutlich. Doch meine beiden Aktienpäckchen – sie heißen Carnival- und Norwegian-Cruiseline – schwächeln, sind die Loser im Depot, weil den Investoren offenbar das Vertrauen in die Zukunft des Schiffsreisens fehlt. Wird schon noch werden, so meine Hoffnung. Doch nun muss ich dem schon erwähnten Economist-Artikel entnehmen, dass die gesamte Altersindustrie underperformt. Der »Ageing-society opportunities index« (was es nicht alles gibt!), er enthält neben der Kreuzfahrtbranche und dem Tourismus auch Aktien von Alters- und Pflegeeinrichtungen und zudem die ganze Anti-Aging-Kosmetik-Industrie, fällt ausgerechnet seit dem Ende von Corona gegenüber jene Indizes zurück, die breit in alle Branchen investieren.
Das bringt die Makroökonomen in Erklärungsnot. Denn die arbeiten seit langem mit einer sogenannten Lebenszyklus-Hypothese: In der Jugend geben die Leute mehr aus als sie verdienen. Sie leisten sich eine akademische Ausbildung und bauen ein Haus auf Pump, weil das Einkommen noch gering ist. In der mittleren Lebensphase verdienen sie zwar mehr, müssen aber auch private Vorsorge für das Alter betreiben, weil man ihnen gesagt hat, die staatliche Rente werde nicht reichen. Erst in der dritten Lebensphase können die Menschen dann mehr Geld ausgeben als sie einnehmen: »Entsparen«, der Verzehr des finanziellen Erfolgs, wofür das Englische den schönen Ausdruck »eating into my wealth« hat. Doch das Gegenteil passiert: Die Sparquote der Alten steigt, anstatt dass sie sinkt.
Für die Weltwirtschaft ist das gut, denn Entsparen in großem Stil würde rasch zu Inflation führen (große Konsumnachfrage, knappes Arbeitskräfteangebot). Doch für uns Boomer ist das eine einigermaßen traurige Botschaft. »Krampfhaftes Klammern kann zu weniger Lebensfreude führen«, hat der legendäre FAZ-Kolumnist Volker Looman immer wieder geschrieben. Er warnte, wir würden zu Sklaven unseres seines Vermögens, wenn wir nicht bereit wären loszulassen.
Der letzte Rasierer hält lange
Auf dem Markt sind eine ganze Reihe von Erklärungen für die merkwürdige Sparverhaltensänderung der Babyboomer. Die Angst, die Nachkommen könnten es einmal weniger guthaben als wir Glückskinder bringt die moralische Verpflichtung mit sich, ihnen ein üppiges Erbe zu hinterlassen. Hinzu kommt: Langlebigkeit kann dauern; da ist man gut beraten, nicht zu früh von der Substanz zu leben, zumal das Risiko besteht, die letzten Monate oder gar Jahre könnten mit aufwendiger Pflege und hochwertigen Medikamenten besonders teuer werden.
Ganz subjektiv habe ich noch ein paar weitere Kandidaten altersbedingter Sparsamkeit. Womöglich ist es ein Wohlstandsphänomen, dass die Konsumwünsche im Alter zurückgehen. »Schenkt mir nichts, ich habe schon alles«, so lesen wir es regelmäßig auf den Geburtstagseinladungen. Ein Freund hat mir erzählt, kurz nach dem 60. Geburtstag habe er sich einen neuen Rasierapparat gekauft. Der vorige habe 25 Jahr lang gehalten. »Das wird dann also der Letzte gewesen sein«, so sein melancholischer Kommentar.
Viele meiner Kollegen arbeiten nach dem Eintritt in das gesetzliche Rentenalter freiberuflich einfach weiter. Ich finde das ein schönes Hobby, das wenig kostet, aber verhindert, dass Zeit zum Geld ausgeben da ist. Auch von Managern der Finanzindustrie höre ich immer häufiger, sie hätten hier oder da noch Aufsichts- oder Beratermandate. »Man kommt zu nichts«, so jüngst ein rüstiger Achtzigjähriger.Es wird vermutlich noch ein paar weitere Konsumsperren geben. Wer wie ich im Schwäbischen aufgewachsen ist, hat mit der Muttermilch aufgenommen, dass Sparen eine Tugend sei und Geld ausgeben über den notwendigen Bedarf hinaus zwar keine Sünde, aber doch nahe dran. An die Substanz darf es nicht gehen, das weckt regelmäßig hartnäckig sitzende Verarmungsängste. Wer ein Leben lang zu Sparsamkeit angeleitet wurde, kann nicht einfach im Alter den Hebel umlegen, bloß weil die Ökonomen ihm sagen, jetzt sei die »Verzehrphase« angesagt. Sinnvoller wäre es, die Verhaltensökonomen würden damit beginnen, sich empirisch mit der neuen Alterssparsamkeit zu beschäftigten, sollte sie sich als säkularer Trend erweisen.
Rainer Hank