Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen07. Dezember 2021
Das Polit-KartellIn der Corona-Politik gab und gibt es keine Opposition
So viel Harmonie war selten. Die rot-grün-gelbe Ampel zelebriert Friede, Freude, Einigkeit. In den Talkshows lobt »der Christian Lindner« »die Annalena Baerbock« und versichert stets, dass sie ganz Richtiges sagt. Das sagt »der Christian« selbst dann, wenn die künftige Außenministerin eiert, also nichts sagt, schon gar nichts Richtiges. So etwas hätte der alte Christian Lindner, also der vor dem 26. September 2021, nach allen Regeln der polemischen Rhetorik zerlegt.
Mit Olaf Scholz verstehen sich ohnehin alle bestens. Der Stimmung kommt es sehr gelegen, dass auch die Opposition nicht zum Streiten aufgelegt ist. Was heißt überhaupt Opposition? Die SPD, Mehrheitsaktionär der Noch-Nicht-Regierung (Ampel), ist zugleich Minderheitsaktionär der Nicht-Mehr-Regierung, die aber weiter die Geschäfte führt. Ein SPD-Minister der alten Regierung, sagen wir Hubertus Heil, wird also kaum den Arbeitsminister der neuen Ampel-Regierung kritisieren: denn der wäre, nach allem, was man hört, er selbst. Und die Union? Die tritt gerade ab mit »Großer Gott wir loben Dich« (Angela Merkel), hat schon demissioniert (Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet) oder kämpft lieber um das Bild in den Geschichtsbüchern (Jens Spahn).
»Linke« und AfD fallen als Opposition auch aus: Die Linke segelt im neuen Parlament unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle. Und die AfD, eigentlich Meister des Krawalls, ist merkwürdig still. Unter diesen Bedingungen ist es ein Leichtes, die Pandemiebekämpfung in den Bundestag ohne Opposition zu übertragen. Selbst das Verfassungsgericht kann sich unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundestagsabgehordneten Stephan Harbarth dieser Harmonie nicht entziehen. Der begabteste Oppositionspolitiker des Landes, Markus Söder, hat sein ganzes Oppositionspulver im Wahlkampf gegen die eigenen Leute verschossen.
»Ich kenne keine Parteien mehr«
Im föderalen Staat sind nicht nur – horizontal – die im Bundestag vertretenen nicht an der Regierung beteiligten Parteien Opposition, sondern auch – vertikal – die Länder als Gegengewicht zur zentralistischen Macht des Bundes. Die Länder konkurrieren untereinander mit besseren Rahmenbedingungen um Menschen und Unternehmen und können sich mit besseren Konzepten zur Bewältigung von Krisen profilieren. Unter normalen Bedingungen führt dieser politische Wettbewerb nicht nur zu effektiven Lösungen, sondern erhöht auch den Informationsstand der Bevölkerung. Entsteht Dissens zwischen Bund und Ländern, dann kann die Bevölkerung schlussfolgern, dass eine bundeseinheitliche Maßnahme nicht das Wohl aller Länder erhöht.
In großen nationalen Krisen dagegen fanden die Deutschen immer schon, sei Einmütigkeit nötig und schade die kleinliche Kleinstaaterei des Föderalismus. Eine Pandemie erlaubt kein Parteiengezänk, sagt man. »Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche«, so lautet der berüchtigte Satz Kaiser Wilhelm II am 1. August 1914.
Wenn alle sich unterhaken, nennt man das im ökonomischen Kontext ein Kartell. Vor allem auf Betreiben der westlichen Siegermächte sind Kartelle in der Marktordnung der Bundesrepublik verboten worden. Es gibt sogar ein »Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen« (kurz: Kartellgesetz) von 1957, welches eine Zusammenballung großer Marktmacht untersagt und dafür eine Behörde (Kartellamt) mit der Macht ausstattet, Unternehmen zu zerschlagen. Kartelle beschädigen den Wettbewerb, der verhindern müsste, dass die Platzhirsche es sich bequem machen und zu Lasten der Konsumenten schlechte und überteuerte Waren auf den Markt bringen. Der Wettbewerb, so die Grundüberzeugung der Freiburger Schule der Marktwirtschaft, ist das beste Entmachtungsinstrument einer Wirtschaftsordnung. Die deutsche Wirtschaft hegte seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert eine große Liebe zu Kartellen und einen Widerwillen gegenüber dem Wettbewerb. Nach 1945 war der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) mit aller lobbyistischen Kraft wild entschlossen, das Kartellgesetz zu verhindern – und erfuhr dafür erbitterten und letztlich zum Erfolg führenden Widerstand in den Kommentaren der FAZ (so viel zum Vorurteil, die FAZ sei ein Agent des deutschen Großkapitals).Jetzt kommt der General
Derzeit fehlt es im Land an politischem Wettbewerb. Das ist ein Jammer. Es regiert eine Art Allparteienkartell, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass nicht oder – wenn, dann schlecht regiert wird. Das ist aber nur die eine Seite. Auf der anderen Seite ist das Kartell dabei, den föderalen Wettbewerb einzuschränken, der auch das Informationsniveau der Bevölkerung erhöht. Die verunglückte Neufassung des Infektionsgesetzes ist dafür ein Beispiel. Lindner und seine Ampel-Freunde tun alles, die Abschaffung der pandemischen Lage als Sieg für die Freiheit und Stärkung des Parlaments zu vermarkten. Doch zugleich wurde die Freiheit der Länder eingeschränkt, rasch und zielgenau auf sehr unterschiedliche Infektionslagen zu reagieren. Dass es bei den Inzidenzwerten ein dramatisches Ost-West- und Nord-Süd-Gefälle gibt, ist nicht zu übersehen. Doch können die Länder bestimmte generelle Maßnahmen jetzt nicht mehr ergreifen: flächendeckend Veranstaltungen untersagen, Hotels und Gaststätten schließen oder Ausgangssperren verhängen. Warum? Weil die Ampel meint, besser zu wissen, dass Ausgangssperren nichts bringen. Die Idee des föderalen Entdeckungsverfahrens würde gegenhalten und sagen: Es kommt darauf an – weil die Pandemie offenkundig nicht bundeseinheitlich verläuft. In Sachsen helfen vielleicht Ausgangssperren und Verbote von Großveranstaltungen. In Mecklenburg-Vorpommern braucht es diese Maßnahmen derzeit nicht. Das neue Infektionsschutzgesetz ist gerade nicht, was ihm derzeit von vielen zum Vorwurf gemacht wird: zu liberal. Was anti-föderal und anti-wettbewerblich ist, kann per definitionem nicht gleichzeitig liberal sein. In der Bildungspolitik bahnt sich demnächst eine ähnliche anti-föderale Ampel-Politik an.
Die Einrichtung eines »Krisenstabs« im Kanzleramt mit einem Bundeswehrgeneral an der Spitze ist Symbol der Zentralisierung. In Abwandlung des politikwissenschaftlichen Begriffs der »Kanzlerdemokratie« müsste man wohl von »Zwei-Kanzlerdemokratie« sprechen, wenn Angela Merkel und Olaf Scholz jetzt Seit an Seit ex cathedra sprechen. Doppelt hält besser. Stimmt das? Doppelte Führung kann auch Führungslosigkeit ausdrücken und die Mehrheit hierzulande bestätigen, die meint, der Föderalismus und nicht die Kanzlerdemokratie habe in der Corona-Krise versagt. Ich folge der Mehrheit nicht. Eines ist aber – so oder so – offenkundig: Es bräuchte rasch einen Mechanismus, den politischen Wettbewerb und sein föderales Entdeckungsverfahren zu reanimieren. Eine ihre Wunden leckende, mit sich selbst beschäftigte, führungslose Union kommt für diese Rolle nicht infrage.
Rainer Hank