Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen03. Mai 2023
Darf man noch alles sagenÜberlegungen zum Stellenwert der Freiheit
Ostern sei das Fest der Freiheit, heißt es: Ein Anlass darüber nachzudenken, wie es um die Freiheit steht – in der Welt im Allgemeinen und bei uns in Deutschland im Speziellen. Nicht besonders gut, um die Antwort vorwegzunehmen.
Beginnen wir mit der Philosophie, bevor wir zu den Statistiken wechseln. Wir leben in einer Zeit der gescheiterten Befreiungen, so beginnt der Frankfurter Philosoph Christoph Menke seine jüngst erschienene, sehr lesenswerte »Theorie der Befreiung«: »Alle Befreiungen, die die Moderne seit ihrem Beginn hervorgebracht hat, haben sich – früher oder später – in ihr Gegenteil verkehrt«, klagt Menke: Sie haben neue Zwänge, neue Ordnungen der Abhängigkeit und Knechtschaft hervorgebracht. Es ist eben leider nicht so, dass sich die Menschheit seit ihren Anfängen aus der Knechtschaft befreit und am Ende eines langen Weges schließlich im Reich der Freiheit landet. Stattdessen sind Freiheit und Knechtschaft ineinander verstrickt. So hat die Befreiung von äußerer Bevormundung (durch Familie oder Religion) zu neuen Formen der Selbstkontrolle und Selbstdisziplin geführt. Trauen wir uns, so zu leben, wie wir wollen? Dürfen wir so frei reden, wie wir gerne würden? Das scheint jedenfalls nicht mehr eindeutig bejaht zu werden in einer Welt, in der äußerer Gruppendruck und die Erwartung hoher Gruppenloyalität sich in unseren Köpfen als »Schere« eingenistet hat.
Breaking Bad oder Exodus
Menke erzählt von dieser Ambivalenz anhand der Geschichte des Chemielehrers Walter White aus der Serie »Breaking Bad«, der sich vorgenommen hat, aus der Knechtschaft der Gewohnheit auszubrechen und ein selbständiges und freies Leben zu führen. Am Ende gerät White auf die schiefe Bahn und wird zu einem ruchlosen Drogenboss. Frei ist, wer nicht gezwungen wird, sondern selbst seine Ziele wählen kann. Menke deutet Walter White als Gefolgsmann der Lehren von Immanuel Kant und Friedrich A. von Hayek, also als eine Inkarnation neoliberaler Befreiung. Neoliberalismus, so erwarten wir es von einem Philosophen der »Frankfurter Schule«, kann natürlich am Ende nicht gut gehen. Die Befreiung zur Selbständigkeit, die »Breaking Bad« erzählt, nennt Menke »systemkonform«. Der freie Serien-Held landet in einer neuen Abhängigkeit, weil er sich aus freien Stücken quasi zwanghaft um die Mehrung seines Geldvermögens sorgt.
Als Gegenmodell zum liberalen Freiheitskonzept bringt Philosoph Menke die Exodus-Erfahrung der Bibel ins Gespräch: Die Befreiung Israels aus der Knechtschaft Ägyptens, in der Tat eine radikale Ostererzählung. Danach wäre die Freiheit kein Akt des individuellen Wollens – wie im Liberalismus -, sondern ein Widerfahrnis bezogen auf einen transzendenten Höchsten, dessen Gebot und Gesetz zu gehorchen ist. Am Ende landet also auch die religiöse Erfahrung wieder in der Unfreiheit. Das ist nicht schön und ziemlich dialektisch.
Wechseln wir von den Höhen der Philosophie in die Niederungen der Empirie, um zu fragen, wie es denn tatsächlich um die Freiheit hierzulande und im Rest der Welt steht. Dazu braucht es keine Definition der Freiheit, sondern saubere Umfragemethoden. Die kann man von den Meinungsforschern aus Allensbach am Bodensee bekommen, die derzeit zusammen mit dem »Media Tenor«, einem auf Inhaltsanalysen von Medien spezialisierten Unternehmen, an einem neuen »Freiheitsindex« arbeiten.
Freiheit war stets dort am besten aufgehoben, wo sich Marktwirtschaft und Demokratie paaren. Dass diese Freiheit allenthalben auf dem Rückzug ist, lässt sich nicht übersehen. »Freedom House«, ein Thinktank in Washington, registriert in seinem jüngst vorgelegten Überblick für das Jahr 2022 zum siebzehnten Mal in Folge einen globalen Rückgang der Freiheit und eine Zunahme autoritärer Regime. Es gibt Jahr für Jahr mehr Länder, in denen die Freiheit eingeschränkt wird, verglichen mit Staaten, in denen es sich freier leben lässt. Deutschland ist ein freies Land, aber in anderen europäischen Ländern rangiert die Freiheit höher als bei uns: Ganz vorne bei den bürgerlichen Freiheitsrechten sind Finnland, Schweden oder die Schweiz, bei der Achtung wirtschaftlicher Freiheit sind Taiwan, Singapur und abermals die Schweiz auf den Spitzenplätzen. So halten inzwischen nur noch 47 Prozent der Deutschen Freiheit für den höchsten Wert (es waren schon einmal über 50 Prozent), während für 41 Prozent die Gleichheit Priorität hat. Das könnte im Umkehrschluss darauf deuten, dass die Menschen bereit wären, im Konflikt um der Gleichheit willen Einschränkungen der Freiheit hinzunehmen.
Besser vorsichtig sein
Während dieses schwache Freiheitsengagement der Deutschen seit langem bekannt ist, lassen zwei weitere Ergebnisse der Allensbach-Befragung aufhorchen. Auf die Frage, »wie empfinden Sie ihr gegenwärtiges Leben – fühlen Sie sich frei oder unfrei?« – gaben 2022 lediglich 45 Prozent an, dass sie sich frei fühlen. Im Jahr 2017 lag dieser Wert schon einmal bei 51 Prozent; 2021 gab es einen Tiefpunkt bei 36 Prozent.
Es kommt noch dicker: Lediglich 32 Prozent der Deutschen waren 2022 der Meinung, man könne hierzulande seine Meinung frei sagen. 48 Prozent finden, man solle besser vorsichtig sein. So etwas gab es noch nie. 1990, im Jahr der Wiedervereinigung, meinten 70 Prozent, sie könnten ihre Meinung frei sagen, lediglich 18 Prozent rieten zu Vorsicht. Seither nähern die beiden Kurven sich an, bis sie sich vor zwei Jahren geschnitten haben. Roland Schatz, Chef von Media-Tenor, macht die Pandemie für dieses bedrückende Resultat verantwortlich. In zwei Lockdown-Jahren blieben tagtäglich die Corona-Meldungen in Fernsehen und Presse oberhalb der Aufmerksamkeitsschwelle und haben in der Breite der Bevölkerung den Eindruck verstärkt, es sei mit hohen Kosten verbunden, gegen Impfnötigung und weitere Freiheitseinschränkungen zu opponieren. Heute, wo selbst der Gesundheitsminister über Impfschäden spricht, segelt das Thema leider wieder unter dem Aufmerksamkeitsradar. Das heißt, eine Aufarbeitung der Zeit der Unfreiheit nach Maßstäben der Verhältnismäßigkeit dringt nicht durch, selbst wenn sie stattfindet.
Philosophie und Empirie treffen sich an einem zentralen Punkt: Freiheit ist prekär; stets droht sie in Unfreiheit umzuschlagen. Und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Christoph Menke, der Philosoph der Freiheit, musste das am eigenen Leib erfahren: Als Mitunterzeichner des offenen Briefs für einen baldigen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen in der Ukraine, pfiff ihm der Wind des Widerstands scharf um die Ohren. »Die Reaktionen waren heftig,« bekannte er in einem Interview. Freiheit sei immer die Freiheit der Andersdenkenden, so geht das berühmte Zitat von Rosa Luxemburg, die selbst für den Sozialismus und also gegen Freiheit kämpfte. Freiheit, wie gesagt, ist prekär.
Rainer Hank