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  • 05. August 2025
    Booster-Boomer

    Wohnen im Alter Foto Firmengruppe Weiß

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wie die Reichen Wohnraum für andere schaffen

    In Hofheim am Taunus werden schicke Mehrfamilienhäuser gebaut. Der Quadratmeter einer solchen Wohnung kostet um die 8500 Euro.
    Trägt das zur Linderung unserer Wohnungsnot bei? Und entsteht hier »bezahlbarer Wohnraum«? Viele Zeitgenossen würden das als blanken Hohn bezeichnen. Eher wäre es der Beweis des Gegenteils: Im Umkreis großer Städte können nur noch die Reichen sich Wohnraum leisten.

    Alles hängt von der Definition von »bezahlbarem Wohnraum« ab, einem Kampfbegriff im politischen Streit um die Wohnungsnot in Deutschland. Die schlichte – vermutlich vielen abermals zynisch erscheinende – Definition wäre: Bezahlbarer Wohnraum zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen da sind, die bezahlen. Es hängt von der Zahlungsbereitschaft der Käufer ab, ob ihnen der Preis die gebotene Leistung wert ist.

    Die Projektentwickler, die die Wohnungen in Hofheim an neue Eigentümer bringen wollen, vermelden eine hohe Nachfrage. Okay, es wäre ziemlich unklug, sie würden ihre Objekte schlechtreden. Hofheim ist ein Satellitenstädtchen von Frankfurt, gut mit Autobahn und Öffentlichen an die Mainmetropole angebunden, indes weniger nobel als Königstein oder Bad Homburg. Die Durchschnittspreise für Neubauten liegen laut »Immoportal« in Hofheim bei 5000 bis 7000 Euro. 8500 Euro sind absolutes Luxussegment.
    Wer hat so viel Geld, wer kauft solche Wohnungen? Ich treffe Karl Greiner, einen Bekannten. Er ist Geschäftsführer und Miteigentümer der Firmengruppe Weiß, einer Immobilienfirma, und engagiert sich im Verband Freier Immobilienunternehmen. Greiner nennt seine Zielgruppe »Empty Nester«. Das sind Paare, deren Kinder aus dem Haus sind. Meine Annahme, dass es sich um Fünfzigjährige handele, ist falsch. Eher seien es 60– bis 80–jährige – also eine Kohorte der Babyboomer, geboren zwischen 1945 und 1965, die im Frieden gelebt haben und vom Wirtschaftswunder profitieren. Keine Multimillionäre, lediglich erfolgreiche Bürger, die ordentlich verdient und häufig noch geerbt haben. Man leistete sich ein großzügiges Haus mit Garten, sagen wir so um die 400 Quadratmeter.

    Das Haus wird zum Klotz

    Gewiss, die »Kinder« sind schon länger aus dem Haus. Doch der Veränderungsprozess braucht Zeit. Lange soll alles aussehen wie früher: Jederzeit dürfen die erwachsenen Kinder nachhause kommen, das Jugendzimmer soll keinesfalls angetastet werden. So wollen es die Kinder, aber auch die Mütter. Das kann gut und gerne zehn Jahre dauern. Doch langsam wird den von den Kindern verlassenen Eltern das Haus zum Klotz, der Garten zur Plage – Freunde und Verwandte kriegen Unmengen an Obst oder Eingemachtem geschenkt. Nicht zu übersehen ist der Renovierungsbedarf, Stichwort »energetische Sanierung«. Irgendwann, meist an Weihnachten im Gespräch mit den Kindern, fällt dann die Entscheidung: »Wir wollen das Haus verkaufen.« Es ergeht ein Ultimatum an die Kinder, nun endlich das Jugendzimmer zu räumen. Vielleicht darf die erste Gitarre des Sohnes bleiben – im Keller der neuen Wohnung.

    Aber was ist die Alternative? Das Schreckenswort für diese agile Generation 60plus heißt »betreutes Wohnen«. Viel zu früh! Das ist die Stunde von Karl Greiner und seinen Leuten. Sie bauen diese luxuriösen Mehrfamilienhäuser in Hofheim. Nachverdichtung in bereits als Bauland ausgewiesenen Gebieten der Stadt. Neues Bauland werde praktisch kaum mehr ausgewiesen: versiegelte Böden sind der Schrecken aller Klima- und Umweltschützer.

    Die älter gewordenen Gutverdiener setzen sich jetzt kleiner, sagen wir von den bisherigen 400 auf 200 Quadratmetern. Das Heim spielt nicht mehr die ganz große Rolle; man ist ja viel unterwegs (Freunde besuchen, Reisen buchen). Auf der neuen Fläche gibt es feste und flexible Module, die viel über die Soziologie und Psychologie dieser Generation verraten. Pflicht sind zwei getrennte Schlafzimmer mit je eigenem, direkt zugänglichem Bad. Dazwischen das Ankleidezimmer. Pflicht ist ein weiteres Schlafzimmer, abermals mit Bad. Man kann es Kinder- oder Gästezimmer nennen. Es wird aber auch die polnische Pflegerin aufnehmen, sollte das später (oder früher) erforderlich werden. Natürlich gibt es einen offenen Wohn- und Essraum; geschlossene Küchen gelten als altmodisch.

    Sauna oder Bibliothek

    Kür sind weitere Räume: Die Körperbetonten kriegen ihren Fitnessraum mit angeschlossener Sauna. Die eher intellektuellen Käufer leisten sich eine Bibliothek oder ein Musikzimmer; irgendwo muss der Flügel ja hin. Ist das Budget groß genug, gibt es ein Penthouse mit Dachgarten. Für die Erdgeschosswohnungen bietet sich ein kleiner Kräutergarten an, Erinnerungsposten an das Grundstück von früher. Aufzug versteht sich von selbst – man wird ja nicht jünger.

    Das alles, wie gesagt, kostet rund 1,6 Millionen Euro. Die finanzieren sich durch den Verkauf des doppelt so großen Anwesens. Hohe Zinsen und Tilgung, Grund für den derzeitigen Rückgang der Bautätigkeit, sind für diese Generation kein Thema. Sie zahlen den vollen Kaufpreis sozusagen aus der Westentasche. Mit etwas Glück wirft der Verkauf einen Schnaps mehr ab als die 1,6 Millionen Neukosten.

    Doch hilft diese das zur Linderung des Wohnungsproblems in Deutschland? Hier kommt der sogenannte Sickereffekt ins Spiel (anderswo auch »Trickle down« genannt). Der geht so: Haushalte, die durch Kauf eine neu gebaute Eigentumswohnung beziehen, machen anderswo ein Haus frei. Dorthin rücken Familien ein, denen mit größeren Kindern und wachsendem Haushalteeinkommen die bisherigen Wohnungen zu klein geworden sind. Sie verbessern ihren »Wohnwert«, ihren sozialen Status und machen ihrerseits Wohnungen frei, in die junge ManagerInnen am Anfang ihres Berufslebens mit ihren kleinen Kindern ziehen. Am Ende der Sickerkette – den Begriff finde ich nicht wirklich glücklich – ziehen ehemalige Studenten in der ersten Berufsphase ein.

    So leisten die Reichen etwas, das die Wohnungsbau-Turbos und Booster heutiger und früherer Regierungen nicht vollbracht haben: Eine Ausweitung des Wohnangebots, ohne dass das dafür neues Bauland ausgewiesen und das Bürokratie-Monster gefüttert werden muss.

    Bin ich der eigennützigen Ideologie meines Bekannten aufgesessen? Die gesammelte Linke hierzulande würde mir das vorwerfen; die Trickle-Down-Theorie ist seit ihrer Erfindung unter Beschuss. Zu meiner Verteidigung verschanze ich mich hinter einer Studie des ideologisch unverdächtigen wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags über »Sickereffekte im Wohnungsmarkt« aus dem Jahr 2022. Dort wird unter Bezug auf Metastudien zumindest die empirische Plausibilität des Sickereffekts nachgezeichnet. Ob das Wohnen dadurch erschwinglicher wird, bleibt fraglich. Aber niemand würde den Sickereffekt als einzigen oder gar Königsweg der Wohnungsmisere vermarkten wollen.

    Rainer Hank