Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen14. Oktober 2025
Baby-MangelWie kommen mehr Kinder auf die Welt?
Seit Jahren gehen die Geburtenraten zurück. Nicht nur hierzulande, sondern in der Mehrzahl der Länder der Welt. Die sogenannte natürliche Reproduktionsrate beträgt 2,1 Kindern. Inzwischen liegt in allen entwickelten Industrieländern (mit Ausnahme von Israel) die Fertilitätsrate unter 2,1; »Schlusslicht« ist Südkorea mit 0,73 Kindern je Mutter. Geht es so weiter, wird die Weltbevölkerung in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts schrumpfen.
So einschneidend diese Veränderungen für die Gattung Mensch sind, so verstörend ist es, dass weder über die Ursachen dieser säkularen Entwicklung Klarheit besteht noch darüber, wie man politisch gegensteuern sollte, falls das gewünscht würde. Theoretisch wäre es auch denkbar, dass die Menschheit in Freiheit entscheidet auszusterben. Die Politik hat es bislang jedenfalls nicht vermocht, mit noch so vielen Milliarden Subventionen (Kindergeld, Kindereinrichtungen, bezahlten Erziehungszeiten, Steuernachlass) den Babyrückgang zu stoppen. Das viele Geld ist irgendwo versickert.
Bevor also mit der Gießkanne weitere Milliarden ausgeschüttet werden, sollte die Forschung sich einen Reim darauf machen, warum weniger Kinder auf die Welt kommen. Dazu hat jetzt die Harvard-Ökonomin Claudia Goldin eine spannende These vorgestellt. Goldin, 79 Jahre alt, hat ihr ganzes Leben über die Frauen im Beruf geforscht. Dafür hat sie 2023 den Ökonomie-Nobelpreis erhalten.
Gehen wir mit Frau Goldin die Kandidaten durch, die als Ursache für den Babymangel infrage kommen. Wenig ergiebig ist die häufig gehörte Aussage, in eine schreckliche Welt mit Kriegen (Ukraine, Israel), Neo-Diktatoren (Trump & Co) und menschengemachtem Klimawandel könne man keine Kinder »setzen«. In den sechziger Jahren, als die vielen Boomer auf die Welt kamen, gab es ebenfalls Kriege (Vietnam, Kambodscha), und die Angst vor der atomaren Katastrophe ging um. Ebenfalls wenig ergiebig ist das Argument, es brauche mehr familienfreundliche Maßnahmen. Merkwürdig bloß, dass in Ländern, die das Kinderkriegen stark pampern (Schweden, Finnland, Deutschland) nicht mehr Babys geboren werden als in Ländern mit geringer staatlicher Unterstützung (USA, Südamerika).
Quantitäts-, Qualitätsabwägung
Weiterführend sind ökonomische Kostenerwägungen. Eltern haben begrenzte Ressourcen (Zeit, Geld, Aufmerksamkeit). Sie müssen sich entscheiden, wie viele Kinder sie bekommen und wie viel sie in jedes einzelne Kind investieren wollen. Mehr Kinder bedeuten weniger Ressourcen pro Kind (weniger Geld für Bildung, Gesundheit, individuelle Förderung). Weniger Kinder bedeuten mehr Ressourcen pro Kind (bessere Ausbildung, mehr elterliche Aufmerksamkeit, höhere Chancen am Arbeitsmarkt). Diese sogenannte Quantitäts-Qualitäts-Abwägung ist eine freie Entscheidung der Eltern. Früher wurden Kinder »gehortet«, weil nicht alle durchkamen und Kinder auch Alterssicherung bedeuten. Heute sollen wenige Kinder in einer teurer gewordenen Welt eine perfekte Umgebung und Erziehung genießen.
Alles entscheidend ist für Claudia Goldin das Missverhältnis zwischen den Wünschen von Frauen und Männern. Das rapide Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte habe Frauen völlig neue emanzipative Lebensläufe und Karrierewege eröffnet. Sie sind viel besser ausgebildet als Mütter und Großmütter es waren. Das ermöglicht ein anderes Frauen- und Mütterleben als früher mit mehr Optionen. Anders die Männer. Die sind weiterhin geprägt von traditionellen Rollenbildern: Der Mann bringt das Geld, die Frauen kümmern sich um Haus und Kinder. Doch die Frauen haben kapiert: Kriegen sie Kinder in dieser traditionellen Väterwelt, müssen sie auf Autonomie, Geld und Lebenschancen verzichten.
Das Resultat dieses Missmatches liegt auf der Hand: Solange die Lebensentwürfe derart unterschiedlich sind, gibt es weniger Kinder. Die Konsequenz ist für Frau Goldin auch klar: Soll es wieder mehr Kinder geben, müssen die Männer sich ändern. Je glaubwürdiger die Männer signalisieren, dass sie als Väter genauso sorgend und verlässlich sein werden, umso höher wird die Geburtenrate ausfallen. Denn dann können die Frauen die Früchte ihrer Autonomie ernten und gleichwohl Mütter werden.
Sind also die Männer an allem schuld? Das mag schon sein. Aber sie haben dafür Gründe. Das ist die Gegenthese des Ökonomen John Carney auf der Internetplattform »Breitbart News«. Die gilt als extrem konservativ, was freilich noch nichts über die Qualität der Argumente aussagt. Claudia Goldin sieht nur die Kosten für die Frauen, wenn sie Kinder bekommen: sie müssen auf Teile ihres guten Einkommens verzichten (»child penalty«). Aber wenn die Männer ihr Rollenverständnis ändern und sich mehr um Kinder kümmern, müssen sie doch wohl auch Einkommensnachteile in Kauf nehmen? Es gibt bekanntlich nichts umsonst in einer Welt der Knappheit.
Merkwürdig auch, dass Claudia Goldin das Kümmern um die Kinder auf die Zeit und Aufmerksamkeit kostende Sorge einschränkt, die sogenannte Care-Arbeit. In einer früheren arbeitsteiligen Welt hätte man die Sorge für das Einkommen, das nötig ist, um Kinder aufzuziehen auch unter die Rubrik »Verlässlichkeit« subsumiert. Das ist heute als anti-egalitär verpönt. Doch solange es so ist, dass das Einkommen der Männer im Durchschnitt höher ist als das der Frau, ist es ökonomisch rational, dass die Mütter auf Einkommen für die Kindererziehung verzichten und nicht die Männer.
»Greedy Jobs«
Claudia Goldin selbst ist berühmt geworden mit einer Theorie der »greedy jobs«. Das sind Berufe, die unverhältnismäßig viel Zeit, Verfügbarkeit und Flexibilität fordern – oft auch abends, nachts, am Wochenende oder auf Abruf. Darunter fallen Jobs in Kanzleien, Investmentbanken, Unternehmensberatungen, Management-Positionen oder Ärzte in bestimmten Fächern.
Überwiegend werden diese »gierigen« Berufe auch heute noch von Männern ausgeübt. Doch das ist nicht gottgegeben. Sehr schematisch gesprochen denke ich es mir so: Frauen müssen noch stürmischer in »greedy jobs« dringen: Also Mint-Fächer (Mathe, Natur-, Ingenieurwissenschaften und Management) studieren statt Pädagogik, Psychologie oder Romanistik. Dann haben sie im familiären Verhandlungsdiskurs die besseren Karten gegenüber den Männern.
Wollen allerdings beide, Mann und Frau, ihre »greedy jobs« behalten, wird es schwieriger. Entweder entscheiden sie sich, kinderlos zu bleiben. Oder sie müssen die Kindererziehung weitgehend outsourcen – an bezahlte Nannies, Großeltern oder Ganztageseinrichtungen – und sich selbst auf wenige »Qualitätszeit« als Väter und Mütter konzentrieren.
Solche Verhandlungslösungen wären ein Weg, die Paarbeziehungen fairer zu gestalten und die Gräben zwischen emanzipatorischen und konservativen Lebensentwürfen einzuebnen. Ob es auch ein Weg zu mehr Kindern wäre? Das bezweifle ich.
Rainer Hank